„Don Quichotte“ in Bregenz als modernes Männer-Mythen-Mashup

Ein etwas angestaubtes Alterswerk als Ausgangspunkt für ein modernes Mashup über die Männerfrage – dieses Kunststück ist am Donnerstag den Bregenzer Festspielen mit ihrer Hauspremiere 2019 gelungen. Die junge französische Regisseurin Mariame Clement transformiert Jules Massenets „Don Quichotte“ zu einem Parforceritt durch die Theaterstilistik und die Schattierungen des Männer- und Heldenbildes.

Somit stellen die Bregenzer Festspiele heuer gewissermaßen die Genderfrage – nachdem bereits am Mittwoch das Spiel am See mit Verdis „Rigoletto“ in der spektakulären Gestaltung von Philipp Stölzl eine frauenverachtende Männer-Macht-Clique in den Fokus rückte. Diese Deutung der Massenet-Vorlage geht dabei weit über die übliche Modernisierung obsoleter Zeitelemente eines Stückes hinaus, sondern degradiert das Ursprungswerk zum leeren Rahmen, der von der Regie gefüllt wird.

Allerdings hatte bereits der damals knapp 68-jährige Massenet für sein 1910 uraufgeführtes Spätwerk die berühmte Cervantes-Vorlage bereits äußerst frei interpretiert – und ähnlich geht nun die 1974 geborene Französin Clement vor. Von der Narration des Librettos bleibt nur mehr wenig, was keinen Verlust darstellt. Schließlich hatte Massenet den großen spanischen Mythos des Ritters von der traurigen Gestalt zur gefühlsprallen Liebesgeschichte umgebogen.

Und Clement treibt die Biegung nun noch eine Stufe weiter. Sie nimmt die Partie des obsoleten Ritters, der das Gespött der Gesellschaft und zugleich ihr positiver Antipode ist, als Ausgangspunkt für ein humorvolles Bilderspiel rund um die Fragen von Helden und Männlichkeit – erzählt in einer pro Akt wechselnden Reise durch die Theaterstile, was teils minutenlange Umbaupausen zur Folge hatte.

Am Beginn steht eine Gillette-Männerwerbung, über die sich ein „Zuschauer“ aufregt und hernach mit einem Don-Quichotte-Double als Spiel im Spiel den ersten Akt betrachtet. Dieser hätte Otto Schenk die Freudentränen ins Auge getrieben. In den folgenden vier Akten lassen Claus Guth oder Frank Castorf grüßen, mutiert der Ritter von der traurigen Gestalt mal zum Spiderman von der auch nicht fröhlicheren Gestalt oder zum biederen Büroangestellten im „Stromberg“-Stil. Zugleich wird die Perspektive eines Theaters im Theater im Theater auf die Spitze getrieben und so nicht nur die Figur, sondern auch ihr Medium kontinuierlich reflektiert.

Mit diesem Collage-Ansatz ist Clement vielleicht dem originalen „Don Quichotte“ von Cervantes näher als Massenet. Dennoch kann man die Frage stellen, weshalb man ein Stück wie den „Don Quichotte“ wählt, das heute nur mehr bedingt standhält, um es dann als bloße Inspiration für einen gänzlich anders gelagerten Fokus zu nehmen. Muss man aber nicht. Denn es geht auf.

Dies ist allerdings bei weitem nicht nur der Regie, sondern auch einem exzellenten Ensemble zu verdanken. Ungewöhnlicherweise wird Massenets Oper in den zentralen Partien vom tiefen Stimmfach dominiert. An dessen Spitze steht die 35-jährige Russin Anna Goryachova als Dulcinee mit dunkel gefärbtem Edelklang. Ihr zur Seite offenbarte der Salzburger „Salome“-Jochanaan Gabor Bretz als Don Quichotte trotz des beim Singen Nasalklang fördernden Französisch der Partie seinen warmen, fließenden Bassbariton, während David Stout als Sancho mit seinem Bariton die Buffopartie mit großem Spielwitz meistert. Und nicht zuletzt konnten die Wiener Symphoniker unter Daniel Cohen nach dem Spiel am See in der guten Akustik des Festspielhauses ihre Qualitäten unter Beweis stellen.

So ist mit dem gestrigen Abend den Bregenzer Festspielen zum heurigen Festivalauftakt gleichsam ein erfolgreicher Doppelschlag gelungen. Die Genderfrage wird heuer am Bodensee gestellt. Beantworten müssen sie die Zuschauer des noch bis 18. August dauernden Festivals.

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