Österreich wäre bei „no deal“-Brexit nur wenig betroffen
Österreich wäre bei einem „hard Brexit“ von den wirtschaftlichen Folgen deutlich weniger betroffen als andere EU-Länder. Nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung vom Donnerstag rechtzeitig zum EU-Brexit-Gipfel in Brüssel wurden die Konsequenzen eines sogenannten „no deal“-Szenarios analysiert. Demnach hätte Österreich beim Wohlstand nur 0,2 Prozent an Einbußen zu befürchten.
Bei der Produktivität würde das Minus sogar nur 0,062 Prozent betragen. In absoluten Zahlen der Einbußen pro Kopf sieht es anders aus. Statistisch gesehen würde jeder Österreicher 83 Euro verlieren. Das ist immerhin der elfthöchste Wert. Die größten Verluste pro Kopf – die Studienautoren sprechen von Einkommensverlusten – werden für Großbritannien (873 Euro), vor Irland (726 Euro) und Luxemburg (220 Euro) erwartet. „Die Einkommensverluste sind als Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Jahr angegeben“, heißt es auf der Homepage der Bertelsmann-Stiftung zur Erläuterung. Insgesamt würde der Wohlstandsverlust für Österreich 724 Mio. Euro betragen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt von rund 386 Mrd. Euro im Jahr 2018.
Nach Großbritannien selbst wäre demnach das exportorientierte Deutschland absolut am stärksten belastet, gefolgt von Frankreich und Italien. Auf das Vereinigte Königreich käme laut Simulation bei einem No-Deal-Austritt ein jährlicher Einkommensverlust von 57 Mrd. Euro zu. Auf fast 8 Mrd. Euro weniger müssten sich die Franzosen und auf gut 4 Mrd. Euro weniger die Italiener gefasst machen, sagt die Studie voraus. Und die knapp 10 Mrd. Euro absoluter Einkommensverlust für Deutschland jedes Jahr seien ein hoher Wert, das entspreche aber nur etwa 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, erläuterte Mitautor Dominic Ponattu.
Ein geordneter Brexit mit Austrittsabkommen würde die negativen Auswirkungen deutlich abmildern, betonen die Autoren. Sie hatten auf Basis von amtlichen Handelsdaten in zwei Szenarien – Brexit mit oder ohne Vertrag – Einkommensentwicklungen geschätzt, auf Grundlage erwarteter Veränderungen beim Bruttoinlandsprodukt. Als Gründe für die erwarteten Verluste nennen sie Zölle, die Waren verteuerten, aber auch einen wohl sinkenden Wettbewerb in Europa mit negativen Folgen für Preis- und Lohnentwicklung.
Bei einem vertraglich geregelten Austritt sieht die Simulation weit weniger negative Auswirkungen. Für Deutschland nehme man dann Einkommensverluste von rund 5 Mrd. Euro an, für Österreich 402 Mio. Euro. Auch für die gesamte EU (ohne Großbritannien) würde sich der Verlust in etwa halbieren – auf geschätzte 22 Mrd. Euro.
Profitieren könnten wohl die USA und China mit jährlichen Milliarden-Einkommenszuwächsen, einen leichten Anstieg erwartet die Studie auch für Russland. Ponattu sagte, werde der Handel innerhalb Europas teuer, würden die „Wirtschaftsbeziehungen mit dem Rest der Welt“ attraktiver. Stiftungsvorstand Aart de Geus mahnte, London und Brüssel sollten den Ausstieg unbedingt vertraglich regeln. Das Fundament des weltweit größten gemeinsamen Wirtschaftsraums drohe schwer beschädigt zu werden.
Zahlreiche Stimmen aus Politik, Wirtschaft und auch Verbraucherschützer hatten vor drastischen Folgen gewarnt, sollte es zu einem chaotischen Brexit kommen. Die britische Premierministerin Theresa May hatte die EU am Mittwoch um einen Aufschub bis 30. Juni gebeten – ohne Teilnahme an der Europawahl zuvor im Mai.
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