Brexit Plan B: Machtkampf in London, Ratlosigkeit in Brüssel

Im Brexit-Streit versuchen Abgeordnete im britischen Parlament der Regierung die Kontrolle zu entreißen und selbst einen Ausweg aus der völlig verfahrenen Lage zu weisen. Eine fraktionsübergreifende Gruppe legte dazu in der Nacht auf Dienstag mehrere Anträge vor. Denn der sogenannte Plan B von Premierministerin Theresa May hat keine Klarheit geschaffen, wie ein No Deal zu vermeiden ist.

Auch die EU-Kommission sieht in Mays Äußerungen nichts Neues und verlangte rasche Klärung. May hatte über Monate mit der Europäischen Union ein Austrittsabkommen ausgehandelt, das aber vorige Woche im Unterhaus mit breiter Mehrheit abgelehnt wurde. Sie kündigte trotzdem am Montag im Parlament keine neuen Optionen an, sondern bekräftigte ihren Kurs: Sie wolle Einigungschancen in Parlament ausloten und dann erneut mit der EU reden. Dabei geht es vor allem um die in London kritisierte Garantie für eine offene Grenze in Irland, den sogenannten Backstop.

Der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel reichen Mays Ankündigungen offenbar nicht. „Die Bundesregierung erwartet, dass die britische Regierung sich bald auf Vorschläge einigt, die von einer Mehrheit des Unterhauses unterstützt werden“, erklärte ein Regierungssprecher.

Auch die EU-Kommission, die für alle 27 bleibenden EU-Länder verhandelt, reagierte am Dienstag kühl und machte keine neuen Angebote. „Derzeit haben wir nichts Neues aus Brüssel zu sagen, weil es nichts Neues aus London gibt“, sagte Kommissionssprecher Margaritis Schinas und forderte ebenfalls Klarheit über die Absichten Großbritanniens. Nachverhandlungen über das Austrittsabkommen – und damit auch über den Backstop – schloss er abermals aus.

Allerdings räumte Schinas erstmals öffentlich ein, dass ein Brexit ohne Vertrag unweigerlich sofort zu dem führen würde, was der Backstop verhindern soll: zu einer festen Grenze mit Kontrollen zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland. „Es ist ziemlich offensichtlich: Man bekommt eine harte Grenze“, sagte Schinas. Wie die EU für diesen Fall vorsorgt, ließ er offen.

Grenzkontrollen wollen alle Seiten aus Angst vor einem Wiederaufflammen des blutigen Konflikts in der ehemaligen Bürgerkriegsregion verhindern. Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien solange als Ganzes in einer Zollunion mit der EU bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist. Brexit-Hardliner befürchten, dass Großbritannien damit auf Dauer eng an die EU gebunden würde.

Die Pläne im britischen Unterhaus, an denen die Opposition und EU-freundliche Abgeordnete aus Mays Konservativer Partei gemeinsam arbeiten, sollen ein „No-Deal-Szenario“ abwenden. Dabei handelt es sich um Änderungsanträge zu einer Beschlussvorlage der Regierung, über die kommenden Dienstag abgestimmt werden soll.

Die Labour-Opposition will über eine Mitgliedschaft in der Europäischen Zollunion und über ein zweites Referendum befinden lassen. Eine Gruppe von Hinterbänklern will die Regierung verpflichten, das Austrittsdatum 29. März zu verschieben, sollte bis 26. Februar kein Brexit-Deal verabschiedet sein. Eine weitere Gruppe will mehrere Abstimmungen über Alternativen zum Brexit-Deal der Regierung abhalten.

Die Klärung der Positionen wäre ein Zwischenschritt auf der Suche nach einer in Großbritannien mehrheitsfähigen Lösung. Sobald diese in London vorliegt, dürften Gespräche mit der EU folgen.

Die britischen Wähler können sich laut Umfragen indes auf keine Strategie für den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs einigen. Weder ein harter Brexit, noch der von Premierministerin Theresa May ausgehandelte Vertrag mit Brüssel oder die Abhaltung eines zweiten Referendums kämen in den Befragungen auf eine Mehrheit, heißt es in einer am Dienstag in London vorgestellten Studie.

Für die Studie mit dem Titel „Brexit und öffentliche Meinung 2019“ hatten Wissenschaftler jüngste Meinungsumfragen ausgewertet. John Curtice von der University of Strathclyde in Schottland fasste das Ergebnis so zusammen: Keine der Optionen „scheint weitgehend populär und in der Lage zu sein, die Brexit-Spaltung zu überbrücken.“

Eine Verschiebung des für den 29. März geplanten Brexit wirft nach Einschätzung von Vertretern des Europaparlaments Probleme auf. Es sei klar, dass eine Verlängerung „nicht einfach“ sei, sagte der Brexit-Koordinator des EU-Parlaments, Guy Verhofstadt, am Dienstag in Brüssel. „Noch schwieriger“ werde es, wenn der neue Austrittstermin erst nach der konstituierenden Sitzung des neuen EU-Parlaments nach den Europawahlen liege, hieß es weiter.

(APA/ag.)

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