Britisches Parlament stimmt über Brexit-Verschiebung ab

Ratspräsident Donald Tusk will in der Europäischen Union für einen längeren Aufschub des Brexits werben. Voraussetzung dafür sei, dass Großbritannien eine längere Verschiebung für nötig hält und darüber in London Konsens herrscht, teilte Tusk am Donnerstag auf Twitter mit. Er kündigte an, für diesen Fall vor dem EU-Gipfel Ende nächster Woche an die EU-Spitzen zu appellieren.

Das britische Parlament stimmt am frühen Abend (ab 18 Uhr MEZ) über eine mögliche Verlängerung der Frist für den EU-Austritt ab. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass sich die Mehrheit der Abgeordneten dafür aussprechen wird. Voraussetzung für eine Verlängerung der Frist ist allerdings, dass alle 27 übrigen Mitgliedstaaten das billigen.

Mit Zustimmung wird gerechnet. Allerdings gibt es auf EU-Seite noch keine einheitliche Linie. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte sich zuletzt für eine höchstens kurze Verschiebung ausgesprochen. Der Brexit solle vor der Europawahl Ende Mai abgeschlossen sein, erklärte er in einem Brief an Tusk vom Montag.

Großbritannien wollte sich ursprünglich schon in etwa zwei Wochen – am 29. März – von der EU loslösen. Das Unterhaus und die Regierung sind aber im Brexit-Kurs zerstritten. Am Mittwochabend hatte das Unterhaus gegen einen EU-Austritt ohne Abkommen gestimmt. Die Abgeordneten verabschiedeten mit 321 zu 278 Stimmen einen Beschluss, der einen ungeordneten Brexit – anders als von der Regierung gewollt – in jedem Fall ablehnt. Die Entscheidung ist allerdings rechtlich nicht bindend. Ein sogenannter No Deal hätte weitreichende negative Folgen für die Wirtschaft und andere Bereiche.

Premierministerin Theresa May verknüpfte die Abstimmung über die Verschiebung indirekt mit einer Entscheidung über ihr mit Brüssel vereinbartes Brexit-Abkommen: Nur wenn die Abgeordneten bis zum 20. März – also einen Tag vor dem nächsten EU-Gipfel – für ihren Deal stimmten, sei eine kurze Verschiebung des Austritts bis zum 30. Juni möglich. Jede längere Verschiebung mache eine Teilnahme Großbritanniens an der Europawahl (23.-26. Mai) nötig.

Unterdessen mischte sich US-Präsident Donald Trump einmal mehr in die Brexit-Debatte ein und sprach sich gegen ein denkbares zweites Referendum aus. Dies wäre „sehr unfair“ gegenüber jenen Bürgern, die für den Austritt aus der EU gestimmt hätten, sagte Trump. Der US-Präsident bezeichnete die entstandene Ungewissheit über den Brexit als „Schande“. Er sei „überrascht“ davon, wie schlecht die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union verlaufen seien. Er würde es begrüßen, wenn eine Lösung gefunden würde, so Trump.

Zweimal haben die Parlamentarier Mays Deal schon abgeschmettert – zuletzt am vergangenen Dienstag. Spekulationen zufolge könnte sie die nächste Abstimmung für den kommenden Dienstag ansetzen.

Doch es könnte auch ganz anders laufen: Die Abgeordneten könnten der Regierung die Kontrolle über den Prozess entreißen. Ein überparteilicher Änderungsantrag EU-freundlicher Abgeordneter sieht vor, dass am kommenden Mittwoch gegen den Willen der Regierung das weitere Vorgehen gesetzlich festgeschrieben werden soll.

Ginge das durch, würde es wohl auf eine Reihe sogenannter Fingerzeig-Abstimmungen hinauslaufen, bei denen die Abgeordneten entscheiden sollen, welche Alternative zu Mays Deal sie unterstützen würden. Dann wären sowohl ein Brexit mit enger Anbindung an die EU als auch ein zweites Referendum auf dem Tisch.

Ein anderer möglicher Zusatz zum Beschlusstext bei der Abstimmung am Donnerstagabend sieht vor, dass May ihren Brexit-Deal den Abgeordneten nicht noch einmal vorlegen kann. Der EU-freundliche Finanzminister Philip Hammond glaubt weiter an das mit Brüssel ausgehandelte Abkommen. Er setze darauf, dass innerhalb der nächsten beiden Tage Einigkeit dazu gefunden werden könne, sagte Hammond dem Sender Sky News. „Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einem Deal gelangen werden, der es uns erlaubt, die EU in geordneter Weise zu verlassen und eine enge künftige Handelsbeziehung mit der EU zu haben.“

Knackpunkt im Brexit-Streit ist der sogenannte Backstop. Das ist eine im Austrittsabkommen festgeschriebene Garantie für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland. Die Regelung sieht vor, dass Großbritannien in einer Zollunion mit der Europäischen Union bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist.

Brexit-Hardliner fürchten, dies könnte das Land dauerhaft an die Staatengemeinschaft fesseln und eine eigenständige Handelspolitik unterbinden. Sie hatten daher eine zeitliche Befristung oder ein einseitiges Kündigungsrecht für den Backstop gefordert.

May führt seit einer verpatzten Neuwahl im Sommer 2017 eine Minderheitsregierung an, die die Unterstützung der nordirischen Partei DUP benötigt. Sie ist auf jede Stimme im Parlament angewiesen.

(APA/dpa/ag.)

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