Brexit-Deal im britischen Unterhaus erneut durchgefallen

Die britische Premierministerin Theresa May ist auch mit ihrem nachgebesserten Brexit-Abkommen gegen die Wand gefahren. Trotz Last-Minute-Änderungen votierten die Abgeordneten am Dienstagabend im Parlament in London mit 391 zu 242 Stimmen gegen das Vertragspaket. Nach der zweiten Ablehnung für den Deal wird damit ein ungeordneter Austritt Großbritanniens am 29. März immer wahrscheinlicher.

May will nun zunächst am Mittwoch darüber abstimmen lassen, ob Großbritannien ohne Abkommen aus der EU ausscheiden soll. Die Abgeordneten des Regierungslagers sollen ihr zufolge dabei keinem Fraktionszwang unterliegen. Die Regierung will außerdem Notfallpläne für einen ungeordneten Brexit veröffentlichen. Sollte wie erwartet auch der No-Deal-Brexit – also der Ausstieg aus der EU ohne Abkommen – abgelehnt werden, wird es Donnerstag eine dritte Abstimmung über eine mögliche Verschiebung des Austritts geben.

„Wenn das Unterhaus dafür stimmt, ohne ein Abkommen am 29. März auszutreten, wird es die Linie der Regierung sein, diese Entscheidung umzusetzen“, sagte May. Sie selbst glaube aber, der beste Weg aus der EU auszutreten, sei auf geordnete Weise.

Der britische Brexit-Minister Stephen Barclay hält es für ein größeres Risiko, die EU nicht zu verlassen, als ohne ein Abkommen aus der Staatengemeinschaft auszutreten. Ein „No Deal“ werde ein großer Störfaktor für die Wirtschaft, sagte Barclay am Mittwoch der BBC. Aber nicht aus der EU auszuscheiden „wäre katastrophal für unsere Demokratie“.

Beides sei „sehr unangenehm“, räumte der Minister ein. Aber in der EU zu verbleiben wäre wohl das größere Risiko, so Barclay.

Oppositionschef Jeremy Corbyn von der Labour-Partei bezeichnete das Abkommen als „eindeutig tot“. Er wolle nun erneut seine Pläne für einen Brexit mit engerer Anbindung an Brüssel zur Abstimmung stellen. Zugleich bekräftigte er seine Forderung nach vorgezogenen Parlamentswahlen. „Es ist Zeit für eine Wahl“, sagte er.

Die EU-Seite bedauerte das Nein zum Brexit-Vertrag. Man sei „enttäuscht, dass die britische Regierung es nicht geschafft hat, eine Mehrheit für das Austrittsabkommen zu erreichen, auf das sich beide Seiten im November geeinigt haben“, erklärten Sprecher von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk. Die EU habe alles Erdenkliche für eine Einigung getan.

Die übrigen 27 EU-Staaten würden einen „begründeten Antrag“ Großbritanniens auf Verlängerung der Austrittsfrist über den 29. März hinaus in Erwägung ziehen. Aber: „Die EU27 wird eine glaubwürdige Begründung für eine mögliche Verlängerung und ihre Dauer erwarten“, betonte Tusks Sprecher.

Europäische Spitzenpolitiker betonten, dass ein ungeregelter Brexit nun immer wahrscheinlicher werde. „Es deutet sehr, sehr viel darauf hin, dass es ein harter Brexit wird“, sagte Außenministerin Karin Kneissl am Dienstagabend gegenüber der APA. Ihr deutscher Kollege Heiko Maas meinte: „Mit dieser Entscheidung rücken wir einem No-Deal-Szenario immer näher“, sagte er. Auch Paris zeigte sich enttäuscht von dem Abstimmungsergebnis. Man könne nun aber „unter keinen Umständen“ eine Verlängerung des Verhandlungszeitraums ohne eine alternative, glaubwürdige Strategie Großbritanniens akzeptieren, teilte der Präsidentenpalast mit.

Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte, dass man nach dem Londoner Votum bereits „gefährlich nahe“ am Brexit-Datum sei, „ohne ein ordentlich vorbereitetes Austrittsszenario fertig zu haben“. Kurz meinte, dass der Bewegungsspielraum in Brüssel nun „sehr eingeschränkt“ sei. Man sollte „offen dafür sein, den Brexit für ein paar Wochen zu verschieben, um einen Hard Brexit zu vermeiden. Eine Teilnahme von Großbritannien an den EU-Parlamentswahlen wäre allerdings absurd“.

Der FPÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, Harald Vilimsky, forderte am Mittwoch eine rasche Klarheit, wie und wann der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union vonstattengehen wird. „Der Geduldsfaden ist bereits eingerissen und es ist höchst an der Zeit, endlich eine Entscheidung zu treffen.“

Die Briten haben sich in einem Referendum mehrheitlich für den Brexit mit all seinen Folgen ausgesprochen und diese demokratische Entscheidung ist von London und Brüssel zu akzeptieren“, so Vilimsky.

Führende EU-Abgeordnete forderten die britischen Parlamentarier auf, einen parteiübergreifenden Konsens zum Brexit zu suchen. Nur dann gebe es einen Ausweg aus der Krise, erklärte der Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments, Guy Verhofstadt, am Dienstagabend. „Wenn dies passiert, werden wir uns voll engagieren.“ Der konservative Brexit-Sprecher Elmar Brok sprach von einer „fast aussichtslosen Situation“. Eine kurze Verlängerung der Brexit-Frist von etwa drei Monaten wäre denkbar, aber keine längere Hängepartie, sagte Brok in Straßburg.

In einer mehrstündigen Debatte hatte May, die vor Heiserkeit kaum sprechen konnte, am Nachmittag das Parlament dazu aufgerufen, für das nachgebesserte Brexit-Abkommen zu stimmen. „Wenn dieser Deal nicht angenommen wird, kann es sein, dass der Brexit verloren geht“, warnte die Regierungschefin. „Ich bin sicher, dass wir die bestmöglichen Änderungen erreicht haben.“

Viele Parlamentarier ihrer Konservativen Partei und der nordirisch-protestantischen DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, kritisierten das nachgebesserte Abkommen jedoch scharf. Der notwendige Fortschritt sei nicht erreicht worden, monierte die DUP. Ihr Vizechef Nigel Dodds betonte nach dem negativen Votum, dass Großbritannien die EU notfalls ohne Vertrag verlassen solle.

May war mit ihrem Deal schon Mitte Jänner im Unterhaus krachend gescheitert. Sie führte daraufhin Nachverhandlungen mit Brüssel. Am Montagabend reiste sie überraschend nach Straßburg und stellte mit Juncker neue Vereinbarungen vor. Eine rechtlich verbindliche Zusatzerklärung und zwei weitere Dokumente sollten skeptische Abgeordnete überzeugen, dass Großbritannien durch das Abkommen nicht gegen seinen Willen in einer engen Bindung mit der EU gehalten werden kann.

Doch der britische Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox machte am Dienstagnachmittag Mays Hoffnung auf eine Mehrheit für den Deal mit einem Schlag zunichte. Großbritannien habe weiter keine rechtlichen Mittel, um die als Backstop bezeichnete Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland zu kündigen, urteilte Cox in einem Gutachten.

Die Backstop-Regelung sieht vor, dass Großbritannien so lange in einer Zollunion mit der EU bleiben soll, bis das Problem mit der irischen Grenze anderweitig gelöst ist. Kontrollen zwischen den beiden Teilen Irlands wollen alle Seiten vermeiden, weil sonst mit einem Wiederaufflammen des Konflikts in der ehemaligen Bürgerkriegsregion gerechnet wird.

Innerhalb einer Zollunion sind keine Warenkontrollen an den Grenzen notwendig. Das bedeutet aber auch, dass Großbritannien in dieser Zeit keine Freihandelsabkommen mit Drittstaaten wie China oder den USA schließen kann – eines der wichtigsten Argumente für den EU-Austritt. Brexit-Hardliner hatten daher eine Befristung oder ein einseitiges Kündigungsrecht für den Backstop gefordert. Brüssel lehnte das ab.

Juncker hatte die Abgeordneten gewarnt, die EU werde keine weiteren Zugeständnisse machen. „Es wird keine dritte Chance geben“, sagte er. Werde dieser Vertrag nicht angenommen, werde der Brexit womöglich gar nicht stattfinden. Ihm zufolge ist eine Verlängerung der Austrittsfrist nur bis zur Europawahl Ende Mai möglich, andernfalls müsse Großbritannien an der Wahl teilnehmen.

Die Briten hatten bei einem Referendum im Jahr 2016 mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der Staatengemeinschaft votiert.

(APA/ag.)

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