New York feiert österreichische Fotografieikone Dora Kallmus

Trotz der kalten Jahreszeit ist die Sinnlichkeit der Vergangenheit in der Neuen Galerie auf der Upper East Side von Manhattan spürbar. Porträts von Coco Chanel, Pablo Picasso und Kaiser Karl I. von Österreich, aufgenommen von Dora Kallmus, oder Madame d’Ora, sind von 20. Februar bis 8. Juni Gegenstand der größten US-Retrospektive der österreichischen Fotografin, die ihrer Zeit zutiefst voraus war.

„Das Neuartige war, dass sie versucht hat, ihre Kunden in eine angenehme Stimmung zu versetzen. In ihrem Atelier hat sie die Leute mit ihrem Charme umgarnt und daher wirken sie so entspannt wie zum Beispiel hier Alban Berg“, erzählt die Kuratorin Monika Faber in einem Rundgang im Vorfeld der Eröffnung und zeigt auf ein Porträt des österreichischen Komponisten: „Sehr bald hat sie den Ruhm erworben, dass bei ihr jeder viel schöner ist, als er sich selbst im Spiegel sehen kann.“

Faber erzählt von einem Briefwechsel zwischen d’Ora und Alma Mahler, in dem sie an die Fotografin schrieb: „Ich bin ganz begeistert von Ihren Fotos, aber könnten Sie mich nicht noch ein bisschen schöner machen?“

„Schöner“ machte die d’Ora viele der herausragenden Künstler, Politiker und Intellektuellen des frühen 20. Jahrhunderts. 1907 fotografierte sie Gustav Klimt. Der Künstler schaut nachdenklich zur Seite, eine geschlossene Faust streift seinen Bart. 1955 hielt sie einen grinsenden Pablo Picasso mit einer Zigarette zwischen seinen Fingern fest. Ihre Fotografien von Josephine Baker zeigen eine sinnliche Tänzerin, die nackt kniet oder in einem Jean Patou-Kleid verspielt aussieht. D’Oras Bild von Elsie Altmann-Loos mit offener Bluse und einer Halskette, die an ihrer Brust baumelt, ist von Kallmus‘ Courage und Stil durchdrungen.

In einem Raum treffen zwei Welten aufeinander, und es ist interessant was hier zusammenstößt. „Wir haben einerseits die Wiener Werkstätte, wirklich modern, und auf der anderen Seite das Ende einer Gesellschaft“, erzählt die Kuratorin und deutet einerseits auf kunstvoll drapierte Ensembles der Wiener Werkstätte hin und andererseits ein Bild der ungarischen Krönung von Kaiser Karl.

Im Jahr 1907 eröffnete d’Ora als eine der ersten Frauen in Wien ein Fotostudio, denn „damals war sie wirklich noch allein auf weitem Feld“, so Faber. „Natürlich war das Schicksal einer jungen, jüdischen Dame in Wien damals zu heiraten, und deshalb ist es ganz außergewöhnlich, dass sie sich sehr früh dagegen entschieden hat“, betont die Kuratorin weiters, und fügt hinzu: „Vielleicht war es eine unglückliche Liebesgeschichte…“

Die beeindruckende Schau in der Neuen Galerie ist die kleine Schwester einer Ausstellung, die Faber als Direktorin des Photoinstituts Bonartes in Wien 2018 im Leopold Museum gemeinsam mit Magdalena Vukovic kuratiert hatte. Sie zeigt Abschnitte, die den Perioden in d’Oras Leben gewidmet sind, angefangen beim Fotografieren der Hautevolee in Wien und Paris, über das Dokumentieren von KZ-Überlebenden bis hin zum Fotografieren einer Reihe abstrakter Bilder von Pariser Schlachthöfen in ihren nachdenklicheren Arbeitsjahren. Es gibt mehr als 100 Beispiele ihrer Arbeit, die ihre bemerkenswerte Fähigkeit zeigen, sowohl den Glamour als auch das Pathos von Tod und Leiden einzufangen, zwischen Rausch und Vergänglichkeit.

Der Gründer der Neuen Galerie, Ronald Lauder, war „sehr beeindruckt davon, dass man im Werk von d’Ora eine Entwicklung zwischen 1907 und 1957 sehr kontinuierlich sehen kann“, betont Faber, „und es geht nicht nur um einen sich verändernden fotografischen Stil, sondern auch um eine veränderte Gesellschaft, die sich darin spiegelt.“ Es ist offenbar das erste Mal, dass eine monografische Ausstellung hier in der Neuen Galerie gezeigt wird, mit Arbeiten, die aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stammen. Entsprechend groß fällt das Interesse der New Yorker Presse an dieser modernen Frau aus.

Als Tochter jüdischer Intellektueller verlor Kallmus 1940 ihr Atelier in Paris und musste sich in Frankreich vor den Nazis verstecken, während ihre Schwester Anna zusammen mit anderen Familienmitgliedern und Freunden im Konzentrationslager Chelmno starb. Nach dem Krieg kehrte d’Ora nach Paris zurück und setzte ihre Karriere fort, aber ihre Perspektive wurde dunkler, was sich vor allem in zwei erstaunlichen Serien widerspiegelt, in denen die Gesellschaftsporträtistin ihren einfühlsamen und schonungslosen Blick auf namenlose Überlebende aus den Konzentrationslagern und später auf das Pariser Schlachtvieh richtete – Juden, so d’Ora, wurden wie Tiere zum Schlachthof geführt.

Aber die Künstlerin, die 1963 im Alter von 82 Jahren starb, fotografierte auch weiterhin ihre prominenten Kunden, die dazu beitrugen, ihre Rechnungen zu bezahlen. Zu diesen Aufträgen gehörte 1953 die Sun King’s Party, eine Kostümparty mit 2.000 Gästen, die der in Chile geborene Ballettimpresario George de Cuevas veranstaltete. Seine 1929 geborene Tochter Elizabeth Strong-Cuevas wird zur Eröffnung der Schau erscheinen. „Das freut mich natürlich sehr“, so Faber.

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