Wiener Festwochen 2019 starten mit Theatermarathon

„Die Wiener Festwochen sind ein Ort für multidisziplinäres künstlerisches Schaffen: visionär und gleichzeitig mit Geschichte vertraut, international und in der Stadt Wien verankert.“ Dieses Motto stellt Christophe Slagmuylder, der aus Belgien stammende neue Intendant, seinem ersten Festival voran. Das Programm startet mit einem fünfeinhalbstündigen Theatermarathon in Donaustadt.

Slagmuylder, der im Vorjahr kurzfristig auf den überraschend zurückgetretenen Leiter Tomas Zierhofer-Kin gefolgt war, sieht das Festival durchaus in einem politischen Kontext. „Bei den Wiener Festwochen kann man Visionen erleben, die Offenheit und Neugierde auf das scheinbar Fremde und Unbekannte fördern. Das Festival versucht ein Gegenmittel für jede Form von Selbstüberhebung zu sein, für jeglichen Reflex von Konservatismus, für die Tendenz, das zu schützen, wovon wir Angst haben, es zu verlieren“, schreibt der langjährige Leiter des Brüsseler Festivals Kunstenfestivaldesarts, der in Wien einen Vertrag bis 2024 hat, im Programmbuch. „Um der Kurzsichtigkeit entgegenzuwirken, behaupten die Festwochen, dass es sich lohnt, die Fenster zu öffnen, die Welt zu sehen.“

Die Festwochen bieten 45 Produktionen (darunter 10 Uraufführungen) von 430 Künstlern aus 19 Ländern. An 27 Spielorten in elf Bezirken gibt es 281 Vorstellungen, für die 45.000 Karten aufgelegt sind. „Ich bin overwhelmed“, meinte Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ), verwies auf die kurze Vorbereitungszeit und freute sich über „so einen schönen Anfang“ einer mehrjährigen Intendanz.

Die lange Liste der Eingeladenen umfasse nicht nur große, bekannte Namen, sondern auch viele aufstrebende oder für Wien neue Künstler, die u.a. im Hamakom Theater präsentiert werden, das Slagmuylder einen „vollkommenen Edelstein“ nannte. Spielorte sind neben den Museumsquartier-Hallen aber auch das Volkstheater, das Schauspielhaus oder das Studio Molière. Viel Wert legt der neue Intendant auf Genre-Überschreitungen, wie sie etwa der Ungar Bela Tarr in „Missing People“, eine Mischung aus Film und Installation mit Livemusik, bietet.

Musik spiele grundsätzlich eine wichtige Rolle in seinem Programm, sagte der Intendant und verwies etwa auf Christian Fennesz („Er war wirklich ein Name, der mich in Brüssel begleitet hat“), der sein neues Album „Agora“ im Volkstheater vorstellt, und auf „alternative Formen von Oper“, wie etwa von David Marton („Narziss und Echo“). Besonders dem Publikum ans Herz legte er „Suite n.3 – Europe“ der französischen Gruppe Enycyclopédie de la parole, die im Akademietheater ein Art Liederabend „in allen Sprachen, die in der Europäischen Union gesprochen werden“, zeigen. Material für dieses „heutige Porträt des europäischen Kontinents“ bieten etwa Jobinterviews, Verschwörungstheorien oder Schimpftiraden.

Musik und Tanz verbindet sich etwa bei Anne Teresa De Keersmaekers Verarbeitung von Bachs Brandenburgischen Konzerten, François Chaignauds und Marie-Pierre Brébants Interpretation der Melodien von Hildegard von Bingen und Marcelo Evelins „physischem Kontrapunkt zu Schubert“. Nur zwei Produktionen habe er von seinem Vorgänger übernommen, erklärte Slagmuylder auf Nachfrage – „und auch zu denen hätte ich Nein sagen können“. Eine im Programmbuch enthaltene Produktion musste gecancelt werden: Künstler, die am NT Gent mit Faustin Linyekula die Produktion „Histoire(s) du Theatre II“ erarbeiten sollten, bekamen von den belgischen Behörden keine Visa.

Die Festival-Eröffnung am 10. Mai findet zwar wie immer am Wiener Rathausplatz statt, doch am Eröffnungswochenende soll in Wien-Donaustadt als Bezirk mit dem höchsten Bevölkerungswachstum, niedrigem Durchschnittsalter und geringer kultureller Infrastruktur „erkundet werden, welche Bedeutung einem Stadtfestival zukommen kann“. Kernstück ist die Aufführung von „Diamante“ des Argentiniers Mariano Pensotti, einer im August 2018 auf der Ruhrtriennale uraufgeführten Arbeit über Bau und Niedergang einer paradiesischen Musterstadt, in der Eissporthalle Erste Bank Arena.

Dazu kommt eine Reihe von künstlerischen Projekten auch im öffentlichen Raum, die nach dem ersten Wochenende teilweise in andere Stadtteile weiterziehen. Auch die „Festwochen Bar“ wandert danach weiter und macht als Ort der Begegnung bis zum Festival-Ende am 16. Juni noch im Volkstheater und in den Gösserhallen Station halt. In letzterem wird auch eine der Festwochen-Partys (29. Mai und 15. Juni) abgehalten. Eine weitere findet bereits früher, nämlich am 11. Mai, in der Erste Bank Arena statt. Somit werden neben den vielen Vorstellungen, Konzerten, Workshops und Lectures noch weitere Abwechslungen angeboten.

Einen Tag vor Eröffnung der Festwochen wird der US-Historiker Timothy Snyder am Judenplatz „Eine Rede an Europa“ halten. Initiiert von der Erste Stiftung soll künftig stets am Europatag der Europäischen Union, an dem man am 9. Mai jedes Jahres der Schuman-Erklärung gedenkt, eine öffentliche Vorlesung am Judenplatz abgehalten werden.

Obwohl 2019 um die Hälfte mehr Produktionen und auch um 10.000 Karten mehr angeboten werden als im Vorjahr, ist das Budget laut Geschäftsführer Wolfgang Wais mit 12,6 Mio. Euro (davon 10,6 Mio. von der Stadt Wien) nahezu gleich geblieben. Man hofft auf rund 1 Mio. Euro Karteneinnahmen und hat die Sponsorenerlöse erhöht. „Wir sind guter Hoffnung, uns in diesem Jahr wirtschaftlich besser aufstellen zu können“, sagte Wais.

(APA)

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