May vom EU-Gipfel in Brüssel ohne Kommentar abgereist

Die britische Premierministerin Theresa May ist am Donnerstagabend überraschend ohne Kommentar vom EU-Gipfel in Brüssel abgereist. Ursprünglich war eine Stellungnahme angekündigt worden. May ging an allen Journalisten vorbei zur Limousine und fuhr davon. Zuvor hatte May ihre Vorstellungen über zusätzliche Zusicherungen zum Brexit-Vertrag den anderen Staats- und Regierungschefs dargelegt.

Danach trat der 27er-Gipfel zur Debatte über dieses Thema zusammen. Die Verhandlungen dürften bis Mitternacht dauern, danach ist eine Pressekonferenz von EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker angekündigt.

May hatte den EU-Gipfel um ein konkretes Zugeständnis gebeten. So habe sie vorgeschlagen, ein Datum für das nachfolgende Freihandelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien zu nennen, hieß es in Ratskreisen am Donnerstagabend. Dieses Datum soll in Verbindung mit der festen Entschlossenheit genannt werden, dass es auch erreicht werden soll. Damit will May offenbar die Diskussion über den Backstop – die Auffanglösung zur Vermeidung einer harten Irland-Grenze – umdrehen. Anstatt ein Ende für den ungeliebten Backstop festzusetzen, will May lieber vom Beginn des neuen Abkommens reden.

Der Backstop im Brexit-Vertrag bindet Großbritannien auf unbestimmte Zeit in der Zollunion mit der EU und verhindert, dass London diese einseitig verlassen kann bzw. in der Zwischenzeit neue Handelsvereinbarungen abschließen kann. Ziel des Backstops ist es, eine harte Zollgrenze auf der Irischen Insel zwischen dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland und der weiterhin zur EU gehörenden Republik Irland zu verhindern.

Zuvor hatten sich die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel darauf geeinigt, die europäischen Wirtschaftssanktionen gegen Russland abermals zu verlängern. Es habe im Friedensprozess für die Ukraine zuletzt „null Fortschritt“ gegeben, schrieb EU-Ratspräsident Donald Tusk auf Twitter zu der einstimmigen Entscheidung.

Die EU hatte die Handels- und Investitionsbeschränkungen trotz Milliardenverlusten für heimische Unternehmen zuletzt im vergangenen Sommer bis zum 31. Jänner 2019 verlängert. Sie sollen nun weitere sechs Monate gelten.

Im Gegensatz zu früheren Verlängerungen gab es dieses Mal keine größeren öffentlichen Diskussionen. Als ein Grund dafür gilt das jüngste Vorgehen Russlands gegen ukrainische Marineschiffe. Die russische Küstenwache hatte Ende November zwei Patrouillenboote und einen Schlepper gewaltsam an der Fahrt durch die Meerenge von Kertsch ins Asowsche Meer gehindert. Die Seeleute wurden festgenommen, die Schiffe beschlagnahmt.

Auf eine Aufhebung der Wirtschaftssanktionen soll Russland erst hoffen können, wenn sich die Lage insgesamt deutlich entspannt. Im Sommer 2016 war bei einem EU-Gipfel beschlossen worden, die Handels- und Investitionsbeschränkungen erst dann aufzuheben, wenn die Vereinbarungen des Minsker Friedensplanes zum Ukraine-Konflikt komplett erfüllt sind. Dies ist noch nicht der Fall.

Mit der Koppelung der Sanktionen an den Friedensplan wollen die EU-Staaten den russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu bewegen, seinen Einfluss auf die pro-russischen Separatisten in der Ostukraine stärker für eine Beilegung des Konfliktes zu nutzen.

Experten gehen nach Angaben von Diplomaten davon aus, dass die Sanktionen Russland bereits einen dreistelligen Milliardenbetrag gekostet haben. Doch auch die europäische Konjunktur wird in Mitleidenschaft gezogen, da die Strafmaßnahmen den Handel vieler EU-Unternehmen mit Russland erschweren und Moskau im Gegenzug Einfuhrverbote für westliche Agrarprodukte wie Obst und Fleisch verhängt hat. Vor allem Länder wie Ungarn, Italien und Griechenland sehen die Sanktionen deswegen kritisch, ein Veto legten sie bisher aber nicht ein.

Eingeführt wurden die Strafmaßnahmen nach dem Absturz eines malaysischen Flugzeugs mit 298 Menschen an Bord über der Ostukraine im Juli 2014. Es soll von moskautreuen Separatisten oder sogar von russischen Streitkräften abgeschossen worden sein. Russland bestreitet das, obwohl das Flugzeug laut westlicher Experten von einer Buk-Rakete russischer Herstellung getroffen wurde.

(APA/dpa)

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