Die Unermüdliche: Autorin Ilse Helbich mit 100 Jahren gestorben

Gebürtige Wienerin begann literarische Karriere als Autorin erst mit 65 Jahren

Erst als 65-Jährige begann sie, Prosa zu schreiben. Ihren ersten Roman brachte Ilse Helbich mit 80 heraus, ihr Lyrikdebüt „Im Gehen“ erschien mit 94 Jahren. 2018 folgte der Kulturpreis des Landes NÖ, und sie überließ ihren literarischen Vorlass der Dokumentationsstelle für Literatur in St. Pölten. Am heutigen Freitag nun ist Ilse Helbich im hohen Alter von 100 Jahren in ihrer Geburtsstadt Wien verstorben. Dies teilte ihr Verlag Droschl mit.

„Ihre Texte bestechen durch die so unnachahmliche Schärfe von Beobachtung und Benennung, ob sie nun Alltägliches, das Leben im hohen Alter oder das Wien ihrer Kindheit beschrieb. Eine große Ruhe und Klarheit des Geistes ist Voraussetzung für derart präzise, plastische und intensive Bilder“, würdigte das Verlagshaus seine langjährige Autorin.

Auch Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) hatte den besonderen Stil der nun Verstorbene vergangenen Herbst zum 100. Geburtstag hervorgehoben: „Als Akrobatin der Erinnerung spannen Sie ein tragfähiges Seil in die Vergangenheit, auf dem zu tänzeln Ihnen scheinbar mühelos gelingt.“

Schließlich umspannte Ilse Helbichs Erfahrungshorizont ein ganzes, bewegtes Jahrhundert. Geboren wurde die spätere Autorin am 22. Oktober 1923 in Wien, wo sie Germanistik studierte. Sie arbeitete publizistisch etwa zur Biografie Ludwig Wittgensteins, schrieb zahlreiche Radiocollagen für den ORF sowie Kolumnen für „Die Presse“. Ihre späte Autorinnenkarriere schlug sich etwa in den Büchern „Schwalbenschrift“ (2003), „Die alten Tage“ (2004), „Iststand. Sieben Erzählungen aus dem späten Leben“ (2007) und „Fremde. Erzählungen“ (2010) nieder.

In ihrem Roman „Das Haus“ (2009) verarbeitete sie die Geschichte eines von ihr 1985 im Ortszentrum von Schönberg am Kamp erworbenen alten Hauses, das sie renovieren ließ und wo sie seither abwechselnd mit der Bundeshauptstadt lebte. 2012 erschien der Band „Grenzland Zwischenland. Erkundungen“, vorsichtige Erfahrungsberichte von den einschneidenden Veränderungen, die das Alter mit sich bringt, vom Leben mit zunehmender Erblindung, vom Kampf um die Hoheit über das eigene Wort und die eigene Erinnerung.

In „Vineta“ (2013) erinnerte sie sich in vielen kurzen Kapiteln an ihre Kindheit in Wien. In Prosaminiaturen werden Bilder, Klänge und Gerüche von einst heraufbeschworen, vom Kreischen der Tramwaybremsen bis zum Teppichklopfen. 2017 dann erschien ihre Sammlung früher und später Gedichte „Im Gehen“, in dem auch die zunehmende Immobilität und andere Veränderungen im hohen Alter thematisiert werden. Darin hieß es: „Es ist gesagt, was zu sagen war. Das Andere, das jetzt ist, entzieht sich den Worten. Tief innen ist jetzt eine Melodie, die sich dem Nachsingen versagt.“

Doch dies blieben nicht Ilse Helbichs letzte Worte: 2020 versammelte in dem Band „Diesseits. Gesammelte Erzählungen“ einen Rückblick auf ihr Prosaschaffen, in dem sie auch noch unveröffentlichtes Material fand. Im beinahe biblischen Alter von 97 Jahren legte sie schließlich „Gedankenspiele über die Gelassenheit“ vor, in der sie teils hochdramatische Erinnerungen ans Tageslicht holte: von der schweren Lungenentzündung als Vierjährige bis zum Aufgespießtwerden durch einen großen Holzspan als Dreizehnjährige. „Und ich selbst weiß noch immer nicht, ob ich eine gelassene alte Frau geworden bin“, schreibt sie dort.

2022 folgte schließlich der Band „Anderswohin. Vom Träumen, Suchen und Finden“, in dem sie Erinnerungen, Selbstreflexionen, philosophische Sequenzen sowie eingestreute „Protokolle“ von Gedanken verband. Und kurz vor dem 100. Geburtstag erschien im Droschl Verlag zuletzt „Wie das Leben so spielt“, in dem Helbich drei literarische Dorfgeschichten versammelte.

(S E R V I C E – Unter https://literaturkanal.tv/?s=helbich ist der vom Literaturhaus Berlin in Auftrag gegebene Film „Der Besuch der alten Dame“ abrufbar.)

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