Demonstranten stürmen Außenministerium in Beirut

Vier Tage nach der Explosion mit mehr als 150 Todesopfern im Hafen von Beirut haben Tausende Libanesen gegen die politische Elite des Landes protestiert. Dabei kam es zu Zusammenstößen mit Sicherheitskräften. Mindestens 130 Menschen wurden verletzt. Zudem stürmten Demonstranten das Außenministerium. Laut aktuellen Meldungen sollen auch Schüsse gefallen sein.

Die Polizei bestätigte der Nachrichtenagentur Reuters, dass Schüsse gefallen seien, nachdem am Samstag entsprechende Geräusche im Zentrum der libanesischen Hauptstadt zu hören waren. Die Umstände waren zunächst unklar.

Auf Fernsehaufnahmen waren mehrere blutende Menschen zu sehen, nachdem die Polizei Gummigeschosse und Tränengas gegen Demonstranten eingesetzt hatte. Diese hatten versucht, auf den Parlamentsplatz vorzudringen. Mindestens 130 Menschen wurden verletzt, teilte das libanesische Rote Kreuz mit.

Augenzeugen zufolge drangen Dutzende Demonstranten während der Proteste auf das Gelände des Außenministeriums vor. Dort skandierten sie Parolen gegen die Regierung, verbrannten ein Bild von Präsident Michel Aoun und forderten per Megafon andere Demonstranten auf, alle Ministerien zu besetzen.

Etwa 5.000 Menschen hatten sich in Beirut versammelt. Im Zentrum Beiruts protestierten Tausende zunächst friedlich gegen die politische Führung. Sie machen die Regierung für die Explosion mit mehr als 150 Toten und mehr als 6.000 Verletzten verantwortlich.

Bei den Aufräumarbeiten nach der Explosionskatastrophe von Beirut sind viele Libanesen auf sich allein gestellt. Während sie sich von der Regierung im Stich gelassen fühlen, zeigen sie untereinander große Solidarität. In den stark zerstörten Vierteln rund um den Hafen waren auch am Samstag Dutzende freiwillige Helfer im Einsatz.

Im Hafen gingen die Bergungsarbeiten am Ort der Katastrophe weiter. Rettungshelfer bargen 25 Leichen aus den Trümmern. Ihre Identität sei zunächst unklar, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Ihm zufolge werden noch immer rund 45 Menschen vermisst – überwiegend Hafenarbeiter.

Die Wut auf die politische Elite des kleinen Landes erreichte nach der Explosion einen neuen Höhepunkt. Schon im vergangenen Oktober gab es Massendemonstrationen, bei denen eine grundlegende Reform des politischen Systems gefordert wurde. Die Gegner der Regierung werfen ihr Korruption, Selbstbereicherung und Fahrlässigkeit vor.

Seitdem hat sich die Lage der Menschen im Libanon weiter verschlechtert. Seit Monaten leidet das Land unter der vielleicht schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seiner Geschichte. Die Corona-Pandemie verschärfte die Lage weiter. Die Inflation ist explodiert. Viele Libanesen wissen kaum noch, wie sie ihre Familien ernähren sollen. Die Explosion treibt das Land endgültig an den Rand des Abgrunds.

Viele Libanesen machen die Regierung auch für die gewaltige Explosion verantwortlich. Offenbar lagerten über Jahre große Mengen der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat ohne Sicherheitsvorkehrungen im Hafen. Dies soll die gewaltige Explosion verursacht haben. Warnungen wurden Berichten zufolge in den Wind geschlagen. Am Freitagabend ordnete ein Richter die Festnahme von drei leitenden Hafen-Mitarbeitern an, darunter den Direktor und den Chef des Zolls.

Die internationale Gemeinschaft ist bereit, den Libanon in der Krise zu unterstützen. EU-Ratspräsident Charles Michel traf zu Gesprächen mit Staatschef Michel Aoun und anderen Spitzenpolitikern ein, wie der libanesische Präsidentenpalast mitteilte. Der Libanon könne sich auf die Solidarität der EU verlassen, twitterte Michel. „Nicht nur in Worten, sondern auch in konkreten Handlungen für das libanesische Volk.“

Am Sonntag soll die von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angekündigte internationale Konferenz zur Hilfe für den krisenerschütterten Libanon stattfinden – per Videoschalte. Bei seinem Besuch am Donnerstag in Beirut hatte Macron jedoch deutlich gemacht, dass er von der Regierung grundlegende Reformen fordert.

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