Abstimmung über Brexit-Deal schon Montag möglich

Im Londoner Parlament startet die „Woche der Hölle“: Die britischen Abgeordneten stimmen möglicherweise noch am Montag über den zwischen Premierminister Boris Johnson und der EU ausgehandelten Brexit-Deal ab. Britische Medien sprechen von einem „Showdown“ zwischen Johnson und Parlamentssprecher John Bercow, dem Kritiker eine zu starke EU-Nähe vorwerfen.

Sie gehen daher nicht davon aus, dass der Parlamentspräsident die Abstimmung zulässt. Bercow will seine Entscheidung am Nachmittag (etwa 16.30 Uhr) verkünden. Gibt er den Weg frei, könnten die Abgeordneten noch am selben Tag abstimmen. Auch mit Änderungsanträgen von Parlamentariern wird gerechnet. Regierungskreise sprachen von der „Woche der Hölle“ im Parlament. Der „Telegraph“ zitierte eine nicht näher genannte Regierungsquelle mit den Worten: „Alles steht auf Messers Schneide. Alles spielt sich in dieser Woche ab.“

Johnson will seinen Brexit-Vertrag im Unterhaus nur dann zur Abstimmung stellen, wenn die Parlamentarier keine Änderungen daran vornehmen. Sollten die Abgeordneten versuchen, die mit der EU ausgehandelte Vereinbarung mit Zusätzen zu versehen, wäre eine Abstimmung sinnlos, sagte ein Sprecher Johnsons am Montag. Die Regierung würde in einem solchen Fall den Abstimmungsantrag zurückziehen.

Johnson steht unter sehr großem Zeitdruck. Er hat versprochen, Großbritannien am 31. Oktober – also in etwa eineinhalb Wochen – aus der Europäischen Union zu führen. Außenminister Dominic Raab und andere Kabinettsmitglieder sehen Chancen für den Deal. Es scheine ausreichend Unterstützung im Unterhaus vorhanden zu sein, so Raab.

Johnson benötigt die Stimmen von mehr als der Hälfte der aktiven Abgeordneten – nach Abzug nicht wahrgenommener Mandate und an der Auswertung beteiligter Parlamentarier sind das 635. Mit 318 Stimmen hätte Johnson also eine sichere Mehrheit. Doch seine Fraktion hat nur 288 Sitze. Er muss also auf Stimmen aus der Opposition hoffen.

Das Unterhaus soll auch über das Gesetz zur Ratifizierung beraten. Dazu können Änderungsanträge eingebracht werden, die das Abkommen im Kern verändern würden. So wollen Abgeordnete der Labour-Partei und weitere Parlamentarier beschließen lassen, dass Johnsons Deal dem Volk in einem weiteren Referendum zur Zustimmung vorgelegt werden muss. Unter diesen Umständen könnte sich zumindest ein Teil der Labour-Abgeordneten eine Zustimmung vorstellen.

Ein anderer erwarteter Änderungsantrag sieht vor, dass ganz Großbritannien mit dem Rest der EU zumindest für eine Übergangszeit in einer Zollunion bleiben soll. Dies würde vor allem bei Brexit-Hardlinern auf Widerstand treffen, da Großbritannien dann nicht ohne weiteres Handelsabkommen mit den USA oder anderen Ländern abschließen könnte – für Befürworter ein Hauptvorteil des Brexits.

Das Parlament hatte am Samstag eine Entscheidung über das Abkommen verschoben und Johnson damit eine Niederlage zugefügt. Ziel der Vertagung war es, einen No Deal auszuschließen. Die Folge: Johnson war per Gesetz verpflichtet, in Brüssel eine Verlängerung der Brexit-Frist über den 31. Oktober hinaus zu beantragen – dies tat er widerwillig und ohne Unterschrift auf dem offiziellen Schreiben. Für die EU spielt das aber keine Rolle: Sie sieht den Antrag auch ohne Unterschrift als gültig an, wie eine EU-Kommissionssprecherin am Montag sagte.

In einem weiteren Brief hatte Johnson aber erklärt, dass er einen Aufschub eigentlich nicht befürworte. Dies hatte Kritiker vor Gericht ziehen lassen, weil sie befürchten, Johnson torpediere die auf einem Gesetz fußende Bitte um einen Aufschub.

Ein Gericht im schottischen Edinburgh hält sich eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit von Johnsons Verhalten im Brexit-Tauziehen weiter offen. Die Richter in Edinburgh erklärten, sie wollten vor einer Entscheidung nun erst beobachten, wie sich die Regierung in London weiter verhalte und ob sie vollends im Einklang mit dem Gesetz handle. Im Zweifel könne es noch immer zu einer Rüge kommen.

Ein Chaos-Brexit Ende Oktober mit all seinen wirtschaftlichen Turbulenzen wird unwahrscheinlicher. Der britische Staatsminister Michael Gove drohte zwar am Sonntag erneut damit und sagte, die Gefahr sei gestiegen. Doch stemmt sich eine Mehrheit im Unterhaus dagegen. Auch die EU hat kein Interesse daran.

Die EU will laut „Sunday Times“ einen Ausstieg Großbritanniens aus der EU bis Februar 2020 aufschieben, sollte Johnson seinen Brexit-Deal in dieser Woche nicht durch das Parlament bekommen. Das Datum würde aber nicht bindend sein, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Diplomaten. So solle ein Ausstieg auch zum 1. November, 15. Dezember oder im Jänner möglich sein, sollte Johnsons Brexit-Vertrag bis dahin ratifiziert sein.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas kann sich bei einer Zustimmung des britischen Parlaments zum Brexit-Abkommen eine kurze Verschiebung des Austrittstermins vorstellen. „Ich würde nicht ausschließen, falls es in Großbritannien Probleme gibt mit den Ratifizierungsschritten, dass es eine kurze technische Verlängerung geben könnte“, sagte der SPD-Politiker am Montag in Berlin.

Die Spitze des EU-Parlament will am Montagabend beraten, ob die Ratifizierung des Brexit-Vertrags auf EU-Seite noch in dieser Woche abgeschlossen werden könnte. Parlaments-Vizepräsidentin Nicola Beer sagte, man werde sicher rechtzeitig fertig, doch auf britischer Seite werde es schwierig. Deshalb sei eine Verschiebung des Austrittstermins 31. Oktober wahrscheinlich. Auch der Linken-Brexit-Experte Martin Schirdewan sagte: „Das Europaparlament wird vorbereitet sein.“ Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, warnte in der „Passauer Neuen Presse“ davor, die Brexit-Tragödie endlos zu verlängern.

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