Austro-Studie zweifelt EU-Klima-Berechnungen an

Durch die Atomkatastrophe in Japan sieht sich Österreich in seinem nuklearfreien Weg bestärkt. Gegen ein ambitionierteres EU-Klimaziel regt sich aber nach wie vor großer Widerstand, vor allem in Wirtschaft und Industrie. In einer neuen Wifo-Studie werden die Berechnungen der EU-Kommission, die bis 2020 statt 20 lieber 30 Prozent weniger Treibhausgasausstoß hätte, massiv in Zweifel gezogen.

Brüssel gehe von viel zu niedrigen Klimaschutzkosten aus, heißt es darin. Die Studienautoren wenden sich sogar von einem verbindlichen Ziel ab, plädieren stattdessen für eine Technologieoffensive. Was wiederum bei Umweltschützern – wenig überraschend – für heftige Kritik sorgt.

Angeblich liegt die Studie schon seit Anfang des Jahres in der Schublade, heute Abend soll sie schließlich präsentiert werden. Auftraggeber waren Wirtschaftsministerium, Bundeskanzleramt, Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und der E-Wirtschaftsverband Oesterreichs Energie.

Sukkus der Studie: Nach den Klimagipfeln von Kopenhagen und Cancún gehe es nicht mehr um konkrete Ziele. Vielmehr müsse Europa gegenüber den USA und China bei der grünen Technologie aufholen, die Lücke werde immer größer. Wenn erst einmal genug Geld für Forschung und Entwicklung in die Hand genommen werde, komme die CO2-Reduktion quasi von selbst. Damit drehen die Österreicher die Argumentation von EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard um, statt „technologies follow targets“ (Technologien folgen Zielen) heißt es nun „targets follow technologies“.

Rebound-Effekt nicht übersehen

„Davon hat das Klima nichts“, kritisiert der Ökonom Erwin Mayer vom Umweltberater denkstatt. Denn China und die USA investierten zwar in Photovoltaik und Co., forcierten aber parallel dazu die fossile und atomare Energieerzeugung. Außerdem übersehe der „F&E-Ansatz“ den sogenannten Rebound-Effekt. „Wenn eine neue Technologie auf den Markt kommt, heißt das, dass die Energiedienstleistung, also die warme Wohnung oder das gekühlte Getränk, günstiger wird. Dann wird mehr davon konsumiert.“ Sprich, der CO2-Ausstoß gehe insgesamt nur wenig zurück. Hinzu komme die verteilungspolitische Frage. „Wer bekommt die F&E-Gelder? Die Industrie und die Wirtschaft, nicht Private“, so Mayer zur APA. Das einzig Wahre aus seiner Sicht wäre ein einheitlicher – und freilich höherer – CO2-Preis für alle Bereiche, also sowohl für Fabriken als auch für den Verkehr und Privathaushalte.

Eine Forderung, bei der es Industrievertretern in ganz Europa die Haare aufstellt. Man produziere ohnehin schon extrem energieeffizient. Würden den energieintensiven Betrieben noch mehr Kosten aufgebrummt, wären sie gezwungen, in Länder mit weniger strengen Umweltschutzauflagen abzuwandern, was wiederum Arbeitsplätze in Europa vernichten würde und dem Klima global gesehen nicht gerade zuträglich wäre – Stichwort Carbon Leakage.

Auch die Wifo-Studie argumentiert in diese Richtung, wie im Vorfeld der Veröffentlichung verlautete. Es sei unvorstellbar, dass die Industrie bis 2020 ein Drittel ihrer Emissionen loswird, wie das die Kommission vorschlage. Und man wolle ja die Stahl- und Zementindustrie in Europa halten.

Auch puncto Kosten gehen die Meinungen auseinander. Die EU-Kommission geht davon aus, dass durch die Krise ein verschärftes Klimaschutzziel, also 30 statt 20 Prozent CO2-Reduktion bis 2020, mit weniger Kostenaufwand verbunden sei, denn die Industrie habe in der Rezession weniger produziert und daher weniger ausgestoßen. Eine Erhöhung des Klimaziels würde laut EU-Berechnungen „nur“ um 0,2 Prozentpunkte teurer kommen, die Kosten würden sich dann auf rund 0,5 statt 0,3 Prozent der Wirtschaftsleistung belaufen.

Höhere Investitionskosten nicht höhere Nutzungskosten

Den österreichischen Studienautoren erscheint dies offenbar wenig glaubwürdig. EU-weit müssten jährlich mehr als zwei Prozent des BIP in grüne Technologien investiert werden, hat das Wifo errechnet. Wobei betont wird, dass höhere Investitionskosten nicht unbedingt höhere Nutzungskosten bedeuteten. Wer also ein Passivhaus baut, müsse zwar am Anfang etwas mehr springen lassen, erspare sich à la longue aber einiges an Energiekosten.

Umweltschützer Mayer jedenfalls ist enttäuscht. „Wenn man andere Annahmen und Methoden verwendet, kommt man durchaus auf das Ergebnis, dass sich mehr Klimaschutz volkswirtschaftlich lohnt“, meint er mit Bezug auf eine Studie des deutschen Umweltministeriums, wonach mit dem 30-Prozent-Ziel europaweit bis zu sechs Millionen neue Jobs entstehen könnten.

Das ambitioniertere Reduktionsziel von 30 Prozent weniger CO2 bis 2020 gegenüber dem Stand von 1990 wird laut Mayer bisweilen von sieben Staaten, darunter Deutschland und Großbritannien, unterstützt.

Österreichs Umweltminister Nikolaus Berlakovich (V) will davon nichts wissen – und spürt durch die Japan-Katastrophe Rückenwind: „Die Staaten, die sagen, wir müssen noch mehr tun, wollen das mittels Atomkraft – und das akzeptiere ich nicht“, hatte er Ende März im ORF-Radio kritisiert. Damit verknüpft Berlakovich die Nukleardebatte mit den Klimazielen: Wenn nicht einige Länder ihre Atomkraft zurückfahren, zieht Österreich bei den CO2-Reduktionsvorgaben nicht mit.

Die EU-Kommission geht in ihrem jüngsten Papier vom März davon aus, dass die Reduktion des Treibhausgasausstoßes bis 2050 um 80 Prozent gegenüber 1990 rund 270 Milliarden Euro kosten würde – pro Jahr. Insgesamt wären das 10,8 Billionen Euro. Bis 2020 sieht der neue Fahrplan eine CO2-Reduktion von 25 Prozent vor.

(APA)

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