Wiener Festwochen-Eröffnung: Revolutionäre Übung vor dem Rathaus

Milo Raus erster Auftakt als inszenierte Machtübernahme durch die "Freie Republik Wien" – Politische Forderungen zuweilen auf dem schmalen Grat zwischen Pop, Pathos und Parole

Mit Traditionen brechen wollte Intendant Milo Rau bei der Eröffnung seiner ersten Festwochen-Ausgabe am Wiener Rathausplatz. Mit der Ausrufung der „Freien Republik Wien“ fiel der Festivalstart am Freitagabend tatsächlich ungewohnt politisch-aktivistisch aus. Popacts von Pussy Riot bis Bipolar Feminin und Statements von Elfriede Jelinek bis Carola Rackete beschworen dabei einen Widerstandsgeist, der jedoch einen schmalen Grat zwischen Party, Pathos und Parolen nehmen musste.

Dass Rau die Kontroverse nicht nur nicht scheuen, sondern sie gewissermaßen zum Programm machen würde, war schon im Vorfeld des offiziellen Startschusses klar. Mit der rege diskutierten „Rede an Europa“ des Philosophen Omri Boehm, dem auch mit umstrittenen Proponenten besetzten „Rat der Republik“ oder der letztlich zurückgenommenen Einladung von Teodor Currentzis, dem mangelnde Kreml-Distanz vorgeworfen wird, ist das Festival seit Wochen in aller Munde.

Die Idee, die aktuelle Weltlage mit den Mitteln der Kunst zu reflektieren und mit Auflehnung und Aufbruchsgeist zu kontern, war dann auch so etwas wie der fast logische Leitgedanke des mehr als eineinhalbstündigen Eröffnungsabends. Und bis zum Schluss war nicht ganz klar, wie ernst es Rau und seinem Team mit der Utopie einer zivilgesellschaftlichen Revolution denn nun tatsächlich ist.

Gleich zum Auftakt der Show, die auch in ORF 2 zu sehen war, wurde die Machtübernahme der „Freien Republik Wien“ als Sturm auf das Rathaus inszeniert. Auf den Leinwänden war ein Video zu sehen, in dem Festwochen-Intendant Rau, Burg-Schauspielerin Bibiana Beglau – die beiden führten dann gewissermaßen als Moderatorenduo durch den Abend – und Herwig Zamernik alias Fuzzman, musikalischer Leiter des Eröffnungsprogramms, am Schreibtisch des Bürgermeisters Platz genommen hatten und dann, verfolgt von der Kamera, über die Gänge des Rathauses Richtung Bühne hasteten, nicht ohne dabei vermeintlichen Bürokraten die Aktenordner aus den Händen zu reißen. Ironie oder Plattitüde? Man weiß es nicht so genau.

Zeitgleich hatte jedenfalls on stage bereits eine Art Armada an Aufständischen, die im weiteren Verlauf als Chor fungierte, Aufstellung genommen, um mit Fuzzman die erste der beiden Republikshymnen „Aller Farben ist das Glück“ anzustimmen. „Geht nach Haus, Kapitalisti! Ihr habt es zu nichts gebracht!“ wurde da griffig formuliert, „für Euch scheiß Rassisten, haben wir uns schön gemacht!“

Zamernik setzte bei der Auswahl der musikalischen Acts, die rund die Hälfte des Programms bestritten, auf politisch unterfütterten Pop diverser Spielarten. Die von den rund 36.000 Besucherinnen und Besuchern vor Ort heftig akklamierte russische feministische Punk-Band Pussy Riot performte etwa ihren Protestsong „Putin has pissed himself“, die energiegeladenen heimischen Bipolar Feminin wälzten „Süß lächelnd“ Rachefantasien am Patriarchat („Ich töte Euch alle, ich bring Euch alle um“), Voodoo Jürgens konstatierte „A Aungst haums“, die deutsche Sängerin Paula Carolina ergänzte „Angst frisst Demokratie“ und Monobrother rappte von der Hölle der „Reihenhaus-Favella“, deren brutal-reaktionäre Bewohnerschaft sich demnach „Haund in Haund hinter die Aufklärung“ zurückdemonstriere. Fuzzman selbst rief singend zur Distanz auf: „Ich halte Abstand von Eurer Brut, die außer Schlechtem auch noch Miserables tut. Ich hab genug von Eurem Dunst, den Ihr verbreitet, Ihr verfaulter brauner Sumpf.“

Durchsetzt waren die musikalischen Auftritte von zugespielten Grußbotschaften und Live-Statements internationaler Aktivisten und Künstlerinnen wie der Naturschutzökologin Carola Rackete, Pussy-Riot-Mitglied Diana Burkot, des ukrainischen Regisseurs Stas Zhyrkov, der Schweizer non-binären Person Kim de l’Horizon, vor zwei Jahren mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, oder der Autorin Sybille Berg, ebenfalls aus der Schweiz. Hier wurden die drängenden Themen der Gegenwart von Klimawandel über Rassismus und Krieg bis zur Geschlechteridentität aufgegriffen und mal eher launig, mal kämpferisch, mal mit Hang zum Pathos die „Freie Republik Wien“ als möglicher Ort der Solidarität, Gleichberechtigung und Selbstermächtigung propagiert. Die Ernsthaftigkeit zurecht wichtiger Anliegen drohte aber durch eine mitunter befremdliche (Bild-)Sprache konterkariert zu werden, etwa wenn auf den Leinwänden plötzlich der Wurf eines Molotowcocktails inszeniert wurde oder Rapper Kid Pex ein „Guantanamo Österreichs“ in den Mund nahm.

Ungeplanterweise schlich sich auch der Nahostkonflikt in den Abend: Zwischenzeitlich tauchte nämlich ein Transparent, das später wieder verschwand, mit der Forderung nach Frieden und Freiheit für Palästina auf der Bühne auf. Man könne seine Meinung in der „Freien Republik“ freilich äußern, aber es müsse einem auch klar sein, „dass man hier die Flagge für ein Terrorregime schwenkt“, reagierte Fuzzman, während Rau die Sache mehr oder weniger überging.

Ein kleiner Coup gelang dem Festwochen-Chef mit der Videobotschaft der öffentlichkeitsscheuen Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, aus deren vielschichtigem Beitrag man auch so etwas wie einen vagen Vorbehalt gegenüber dem absoluten Gemeinmachen mit einer Sache, sei sie noch so unterstützenswert, herauslesen konnte: „Die Küche übernehmen wir. Ich kann zwar nicht kochen, aber ich schau mir gern an, was rauskommt, und dann möchte auch ich ein Teil davon sein, ohne vom Feuer, das ich vorsichtig umkreise, selbst verzehrt zu werden.“

Am Schluss erklang die von Fuzzman und seinen Singing Rebels dargebrachte „Hymne der Republik“. „Gebt Euch nicht auf, werft Euch nicht weg. Und lasst uns hoffen, es ist noch nicht zu spät. Gebt sie nicht her, die freie Welt. Haltet sie hoch, die Freie Republik“, hieß es darin. An der Rathausfassade – durchgehend mit Visuals bespielt – leckten schon die Feuerzungen. Auf das Publikum, das dem vorausgegangenen Aufruf zum Mitsingen eher mäßig nachkam, schien da der Funke der Revolution noch nicht vollends übergesprungen zu sein.

Zeit dafür ist allerdings noch, bleibt die „Freie Republik Wien“ mit ihrem 100-köpfigen „Rat der Republik“ aus Expertinnen und Experten, Intellektuellen und Bürgerinnen und Bürgern – auch Jelinek, Berg und Zhyrkov gehören ihm an – doch noch bis zum Ende der Festwochen am 23. Juni bestehen. Insgesamt wartet das Festival heuer mit 47 Produktionen und künstlerischen Projekten aus den Bereichen Sprechtheater, Oper, Musik, Tanz, Performance, bildende Kunst und Aktivismus auf, wobei partizipative Formate und Projekte bei freiem Eintritt einen Schwerpunkt bilden. Zu den bekanntesten Namen zählen u.a. Kornél Mundruczó, Florentina Holzinger, Kirill Serebrennikov oder Tim Etchells. Für die insgesamt geplanten 143 Vorstellungen an 34 Spielorten werden 45.000 Karten aufgelegt.

Das dezidiert politische Programm dürfte dabei auch weiterhin nicht nur die Festwochen-Community beschäftigen. Die Wiener ÖVP kündigte am Freitag an, in der Gemeinderatssitzung am kommenden Mittwoch eine Dringliche Anfrage an Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zu stellen, böte das Festival doch – „gefördert durch die Stadt Wien – extremistischen Ansichten eine Bühne“. Für weiteren Gesprächsstoff ist also gesorgt.

(Von Thomas Rieder/APA)

(S E R V I C E – https://www.festwochen.at/)

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