Slowakischer Ministerpräsident Fico in "sehr ernstem" Zustand
Offenbar hat Politiker wieder das Bewusstsein erlangt – Regierungssitzung für 11.00 Uhr angesetzt
Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico ist nach einer Notoperation infolge des Attentats „stabil“, aber sein Gesundheitszustand weiterhin „sehr ernst“. Darüber informierten der stellvertretende Ministerpräsident Robert Kaliňák und Vertreter des Roosevelt-Krankenhauses in Banská Bystrica. Die Direktorin des Krankenhauses, Miriam Lapuníková, erklärte, dass der Premier fünf Stunden lang von zwei Operationsteams operiert wurde. „Der Patient hatte mehrere Schusswunden.“
Kaliňák dankte allen Medizinern im Krankenhaus. „Der Zustand ist nach wie vor sehr ernst, gerade wegen der Komplexität der Verletzungen, aber wir wollen alle daran glauben, dass wir in der Lage sein werden, die Situation zu bewältigen“, fügte er hinzu. Kaliňák gilt als enger Vertrauter Ficos und ist auch in der Linkspartei Smer sein Stellvertreter.
Die Regierung hatte für 11.00 Uhr eine Sondersitzung anberaumt. Zeitgleich soll auch der nationale Sicherheitsrat über die Lage beraten. Dem nationalen Sicherheitsrat gehören neben dem Regierungschef die Minister für Inneres und Verteidigung sowie weitere Minister aller drei Koalitionsparteien an.
Bereits in der Nacht hatte ein weiterer Stellvertreter Ficos, Tomáš Taraba, erklärt, dass Fico außer Lebensgefahr sei. „Soweit ich weiß, ist die Operation gut verlaufen – und ich denke, dass er am Ende überleben wird“, sagte der rechtspopulistische Umweltminister Taraba am späten Abend der BBC. Taraba ist einer von vier Vertretern Ficos. Slowakische Medien hatten am in der Früh berichtet, Fico habe nach der Operation wieder das Bewusstsein erlangt.
Wegen einer Informationssperre des Krankenhauses gab es nur zögerliche Informationen und viele Spekulationen über den Gesundheitszustand des Regierungschefs. Ein Attentäter hatte am Mittwoch auf den 59-Jährige geschossen. Die Polizei nahm den Angreifer fest. Das Attentat hat das EU- und NATO-Land in einen Schockzustand versetzt und löste international Bestürzung aus.
Nach Angaben von Innenminister Matúš Šutaj Eštok handelt es sich bei dem Täter um einen 71-Jährigen aus der Kleinstadt Levice. Eine erste Vernehmung habe ergeben, dass er ein „klar politisches Motiv“ gehabt habe, nämlich die Ablehnung der Regierungspolitik. Medienberichten zufolge soll Juraj C. in der Vergangenheit für einen privaten Sicherheitsdienst gearbeitet und deshalb einen Waffenschein besessen haben. Die Tatwaffe habe er legal besessen. In seiner Heimatregion soll er sich nach Medienberichten auch als Schriftsteller versucht haben.
Der Nachrichtendienstes Aktuality.sk zitierte den Sohn des Mannes mit den Worten, er habe keine Ahnung von den Plänen seines Vaters und was passiert sei. Sein Vater habe Fico nicht gewählt, mehr könne er dazu nicht sagen.
In der Slowakei kam die ansonsten hitzig geführte politische Debatte zum Stillstand. Eine turbulente Parlamentssitzung wurde am Mittwochnachmittag abgebrochen und auf unbestimmte Zeit vertagt. Die liberalen Oppositionsparteien sagten vorerst alle politischen Kundgebungen ab. Ursprünglich hatten sie just für Mittwochabend zu einer Massendemonstration gegen die vom Linkspopulisten Fico geführte Regierung und deren Plan einer Auflösung des öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens RTVS aufgerufen.
Fico war um etwa 14.30 Uhr von einem Attentäter angeschossen worden, als er sich nach einer Kabinettssitzung im Kulturhaus der Kleinstadt Handlová ins Freie begab, um wartende Anhänger zu begrüßen. Das Lokalfernsehen RTV Prievidza veröffentlichte ein Video vom Tathergang: Zu sehen ist, wie sich ein Mann an den Zaun drängt und aus unmittelbarer Nähe auf den Ministerpräsidenten schießt. Nach Augenzeugenberichten soll der Täter den Politiker laut zu sich gerufen und dann aus unmittelbarer Nähe fünf Schüsse auf ihn abgegeben haben. Der Regierungschef habe ein sogenanntes „Polytrauma“, also mehrere schwere Verletzungen erlitten, teilte der Innenminister den Medien mit.
Der TV-Nachrichtensender TA3 und andere Medien bekamen eine Videoaufnahme aus der Polizeistation zugespielt. Darin sagt der benommen wirkende mutmaßliche Attentäter: „Ich stimme der Regierungspolitik nicht zu.“ Als Beispiel nannte er mit undeutlicher Stimme die von der Regierung geplante Medienreform, gegen die seit Wochen Tausende Menschen demonstrieren. Auch die Frau des mutmaßlichen Täters wurde nach Medienberichten von der Polizei verhört.
Fico hatte erst vor Kurzem der liberalen Opposition vorgeworfen, ein Klima der Feindschaft gegen seine Regierung zu schüren. Es sei nicht auszuschließen, dass es angesichts der aufgeheizten Stimmung irgendwann zu einer Gewalttat komme.
Fico ist Gründer und Chef der zuletzt immer nationalistischer gewordenen Linkspartei Smer-SSD und seit fast 30 Jahren einer der beliebtesten Politiker der Slowakei. Er polarisiert aber zugleich wie kaum ein anderer. Gegner nennen ihn „prorussisch“ und werfen ihm vor, die Slowakei auf einen ähnlichen Kurs wie Ungarn unter der Ägide des mit autoritären Mitteln regierenden Ministerpräsidenten Viktor Orban führen zu wollen.
Tatsächlich aber hat die Slowakei im Unterschied zu Ungarn seit Ficos Rückkehr an die Regierung im Oktober alle EU-Sanktionen gegen Russland mitgetragen und auch allen EU-Hilfen für die Ukraine zugestimmt – einschließlich der Verwendung eingefrorener russischer Gelder für die Ukraine und Befürwortung eines Beitritts der Ukraine zur EU, nicht aber zur NATO. Die Sanktionen gegen Russland lehnt Fico entgegen irreführender Medienberichte nicht grundsätzlich ab. Er kritisiert aber, dass manche von ihnen der von russischem Gas, Öl und Uran abhängigen Slowakei mehr schaden als Russland selbst. Stattdessen verlangt er Sanktionen, die Russland empfindlicher treffen.