Uraufführung von "Wolf" am 23. Mai auf Wolfgangseebühne – "Das ganze Projekt ist ja ein Wahnsinn" – "Die Grundidee war, dass er kein Heiliger sein will" – Nächster Roman spielt in Grönland
Einer der Höhepunkte des „Wolfgangjahres“ zum 1.100 Geburtstag des Hl. Wolfgang ist „Wolf – Das Mystical“, das am 23. Mai uraufgeführt wird. Das Libretto zu dem von Architekt Edi Neversal initiierten und von Gerd Hermann Ortler komponierten Musical lieferte der in Wien lebende oberösterreichische Autor Franzobel (57), dem die Lebensgeschichte zunächst zu unspektakulär schien, wie er im APA-Interview sagt: „Wolfgang ist kein Märtyrer und hat keinen spektakulären Tod erfahren.“
APA: Am 23. Mai wird auf einer eigens errichteten Seebühne am Wolfgangsee „Wolf – Das Mystical“ uraufgeführt, ein Musical über den Heiligen Wolfgang, zu dem Sie das Libretto geschrieben haben. Wann ist man mit dieser ungewöhnlichen Idee auf Sie zugekommen, und wie haben Sie reagiert?
Franzobel: Das war ziemlich genau vor einem Jahr. Es kommen öfter Leute, die mir Großprojekte offerieren, da sind nicht selten Dampfplauderer dabei. Insofern war ich skeptisch. Ich kannte Edi Neversal, hab mir aber gedacht: Wui, der traut sich etwas! Das ganze Projekt ist ja ein Wahnsinn, weil normalerweise hat man bei so einem Projekt eine Vorlaufzeit von drei Jahren. Wenn es trotzdem etwas wird, hat der Heilige Wolfgang vielleicht seine Hände im Spiel. Oder der Teufel?
Edi Neversal hat mir das Vorhaben zuerst als Musiktheater verkauft, und erst allmählich hat sich herausgestellt, dass es ein Musical werden soll. Mit Musicals habe ich an sich wenig am Hut, viele finde ich ganz schrecklich. Aber dann habe ich mich erinnert, dass es ein paar tolle gibt, die mich geprägt haben: „Rocky Horror Picture Show“, „Jesus Christ Superstar“, „Hair“ … Ich bin an die Sache unbedarft rangegangen. Die klassische Musical-Struktur hat mir erst die Regisseurin Vicki Schubert erklärt. Sie meinte auch, dass Musicals wie Pornos funktionieren: Es geht darum, von einer Nummer zur nächsten zu kommen, also von Höhepunkt zu Höhepunkt. Bei mir ist der Zwischentext hoffentlich auch wichtig …
APA: Wie genau haben Sie die Lebensgeschichte des Hl. Wolfgang recherchiert?
Franzobel: Über den Heiligen Wolfgang habe ich wenig gewusst, obwohl mich Kirchengeschichte immer interessiert hat. Sebastian, Laurentius mit dem Rost oder der gehäutete Bartholomäus … Von Wolfgang hätte ich gar nicht sagen können, wofür der steht. Ich hab mir also die verfügbare Literatur besorgt und hatte zunächst nicht das Gefühl, dass das ein Stoff ist, der unbedingt nach der Bühne schreit. Vielleicht gelingt es aber, und die Leute denken nachher: Erstaunlich, dass den noch nie wer dramatisiert hat. Aber Wolfgang ist kein Märtyrer und hat keinen spektakulären Tod erfahren.
APA: Wobei die Auseinandersetzung mit dem Teufel ist schon spektakulär: Wer begegnet schon dem Teufel persönlich, wenn er nicht gerade Jedermann heißt?
Franzobel: Genau. Und vor allem: Wer schließt schon einen Pakt mit dem Teufel außer Faust?
APA: Wo war für Sie die Initialzündung, bei der Sie gewusst haben: So könnte dieser verrückt klingende Auftrag doch funktionieren?
Franzobel: Die Grundidee war, dass er kein Heiliger sein will. Er sagt: Bitte, lasst mich in Ruh‘ damit, ich will mein Leben leben und kein Vorbild sein müssen. Der Konflikt mit dem Teufel war von Anfang an zentral. Mit den „drei weisen Frauen“, die beim Schreiben auf einmal aufgetaucht sind, hat sich dann ein dramaturgisches Mittel ergeben, die Gegenwart hineinzubringen.
APA: Spiegelt der Wunsch Wolfgangs, kein Heiliger sein zu wollen, vielleicht auch den Wunsch des Autors, nicht einfach einen Auftrag brav zu erfüllen?
Franzobel: Nein. Ein Held oder Heiliger ist einfach dramaturgisch weniger spannend als ein Scheiternder, der hat mehr Fallhöhe. Im Schreibprozess habe ich einen Bischofssekretär getroffen, und der war wahnsinnig nett und hat mehr oder weniger gesagt, ich kann eh machen, was ich will. Es hat also keinerlei Beschränkungen gegeben. Ich glaube, die Kirche fürchtet sich trotzdem ein bisschen – auch wenn sie schon mal beruhigt ist, dass keine Missbrauchsgeschichte vorkommt. In einer der ersten Fassungen sind noch tanzende nackte Nonnen aufgetreten. Das war historisch schlüssig, weil das Leben in Nonnenklöstern damals recht freizügig gewesen ist. Leider ist die Szene dann aus zeitlichen Gründen rausgefallen.
APA: Wie intensiv haben Sie vor Ort am Wolfgangsee recherchiert?
Franzobel: Überhaupt nicht. Ich kenne die Gegend, denn ich bin ja vom Rande des Salzkammerguts, von Vöcklabruck, habe immer wieder Zeit im Salzkammergut verbracht, auch am Wolfgangsee. Das hat gereicht. Bei einem Roman wäre das anders. Bei einem Stück kann man eine Landschaft behaupten, beim Roman versuche ich stets, längere Zeit vor Ort zu sein.
APA: Zuletzt waren Sie ja auf Recherche in Grönland?
Franzobel: Ja – auf den Spuren des Inuit Minik, der mit seinem Vater und vier anderen Verwandten 1897 von dem Polarforscher Robert Peary nach New York gebracht wurde. Vier von ihnen sind an Lungenentzündung gestorben, Minik ist später nach Grönland zurückgekehrt, dort aber nicht mehr heimisch geworden. Er ist wieder in die USA und dort dann an der Spanischen Grippe gestorben. In Nordgrönland wird er nicht unbedingt als Held gefeiert, weil er kein guter Jäger war. Die Recherche war toll, denn wir waren ganz hoch im Norden, in der nördlichsten Stadt der Welt, wo 300 Leute leben und noch auf traditionelle Art gejagt wird. Bei einem Kindergeburtstag liegt dann zum Beispiel eine aufgeschnittene rohe Robbe, von der alle essen, aber ohne Kerzen.
APA: Und daraus entsteht jetzt ein Roman?
Franzobel: Ja, der soll bald fertig werden. Veröffentlicht soll er im kommenden Jänner werden. Ob der Roman nur „Minik“ heißt oder etwas mit der „Eroberung des Nordpols“ entscheidet sich erst – je nachdem, was der Verlag sagt oder die Vertreter, die ja noch wichtiger sind …
APA: Beim Lesen von „Wolf“ habe ich viel an Ihre früheren, barocken und sprachlich verspielten Romane wie „Böselkraut und Ferdinand“ (1998) gedacht.
Franzobel: Ich habe immer einen verspielten Zugang. Bei den großen historischen Romanen versuche ich ihn zu minimieren, damit es nicht zu albern wird. In den „Wolf“ bin ich aber mit ungebremster Sprachlust hineingegangen, weil klar war, dass es eh zu Streichungen kommen wird. In der Liedform kann man sich viel Unsinn erlauben, weil er von der Musik aufgefangen wird. „Es wird Speckwürfel regnen“ klingt ohne Musik vielleicht etwas komisch …
APA: Wie viel Erfahrung haben Sie beim Libretto- und Lieder-Schreiben?
Franzobel: Ich habe schon die eine oder andere Oper geschrieben, einmal für Christoph Coburger, später für Ernst Ludwig Leitner („Fadinger oder Die Revolution der Hutmacher“). Die Weltraum-Oper „Terra Nova oder Das Weiße Leben“ von Moritz Eggert war die Abschiedsproduktion von Rainer Mennicken in Linz, die aus verschiedenen Gründen leider eine Katastrophenproduktion geworden ist. Auch in Theaterstücken sind öfter Lieder vorgekommen. Es macht Spaß, obwohl Liedschreiben seltsam ist. Beim Romanschreiben weiß man: Es geht um eine Geschichte. Beim Stück hat man eine Situation. Das Liedschreiben dagegen hat keinerlei Anhaltspunkte, ist also ein permanentes Warten auf die zündende Idee.
APA: Haben Sie einander gekannt, der Komponist Gerd Hermann Ortler und Sie?
Franzobel: Nein. Als wir einander das erste Mal getroffen haben, haben wir uns aber sofort verstanden. Wir haben gespürt, das ist eine ähnliche Wellenlänge. Er ist ein sehr witziger, sehr lukullischer Mensch, kein Neutöner, nicht zu verkopft, hat einen guten Schmäh. Der Gerd hat auch gleich viel anfangen können mit dem Text, hat allerdings immer wieder ein paar Strophen mehr gebraucht, als ich ursprünglich geschrieben habe. Wir haben uns mehrmals getroffen, und durchs Herumblödeln ist noch einiges hinzugekommen.
APA: Sie haben sich immer wieder auf außergewöhnliche Projekte eingelassen. Etwa „Hunt“ und „Zipf“ in einem ehemaligen Kohlebrecher im Hausruck. Zählt „Wolf“ dennoch zu den ungewöhnlichsten Dingen, die Sie je gemacht haben?
Franzobel: Es gibt Projekte, die ich nur des Geldes wegen mache – was ich meist nachher bereue, weil es schlecht wird. Aber Projekte wie „Hunt“ und „Zipf“ oder „Der Lebkuchenmann“ in Weißenburg in Mittelfranken, ebenfalls mit Georg Schmiedleitner als Regisseur, wo Menschen aus der ganzen Region sich selbst aufführen, finde ich wunderbar. Da hat das Theater eine andere Kraft, eine andere Wirkung und verändert oft sogar eine ganze Region. So etwas finde ich großartig.
APA: „Wolf“ ist ja eher ein Auftrag „von oben“ gewesen?
Franzobel: Ich denke, die drei Bürgermeister der Wolfgangsee-Gemeinden haben gesagt, sie wollen bei der Europäischen Kulturhauptstadt Salzkammergut zwar nicht dabei sein, möchten aber dennoch etwas Kulturelles machen. Ich glaube aber schon, dass der „Wolf“ von der Bevölkerung gut mitgetragen wird.
APA: Solange Sie nicht Pudertänze aufführen lassen. Insofern ist es wohl gut, dass die nackten, tanzenden Nonnen gestrichen wurden.
Franzobel: Ja, diese Aufregung in Bad Ischl hat mich auch verwundert. Dass so etwas heute noch provoziert …
APA: Werden Sie zu den Proben kommen?
Franzobel: Nein, das mache ich längst nicht mehr. Nur bei meinen ersten Stücken habe ich den Probenprozess verfolgt. Das war mir aber zu aufwühlend. Meist komme ich erst zur Premiere.
APA: Schreiben Sie Stücke eigentlich nur noch im Auftrag?
Franzobel: Ja, denn ich bin draufgekommen, wenn die Theaterleute nicht das Gefühl haben, die Idee kommt von ihnen, wird das nicht aufgeführt. Vor 14 Jahren habe ich eine Boulevardkomödie geschrieben, denn ich wollte mich mal an einer Cashcow versuchen. Gespielt hat es erst vor einem Jahr eine Bühne in Tallinn. Seither haben sie das über hundert Mal in ganz Estland rauf und runter gespielt. Es muss also offenbar funktionieren. Das Stück heißt „Der Trompetenbaum“ – und auf Estnisch „Trompetipuu“.
APA. Vielleicht spielt man das dann auch in Grönland, wenn der neue Roman rauskommt?
Franzobel: Grönland ist schwierig. Ganz Grönland hat so viele Einwohner wie Sankt Pölten. Aber ich hoffe auf eine Übersetzung des Romans ins Dänische, wie schon bei meinem Roman „Das Floß der Medusa“. In Grönland spricht man ja nur Grönländisch oder Dänisch. Das würde mir schon gefallen, denn von meinen Reiseerlebnissen zählte Grönland neben der Sahara zu den eindrücklichsten.
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E – „Wolf – Das Mystical“ auf der Salzkammergut-Seebühne in Ried am Wolfgangsee, 23. Mai bis 22. Juni www.wolfmystical.at)