Blixa Bargeld: "In einem Paralleluniversum sind wir die Beatles"

Veröffentlicht mit seiner Band Einstürzende Neubauten das neue Album "Rampen" und liefert erneut "Popmusik für die Andersartigen" – Tourauftakt am 5. September in Wien

Vor 44 Jahren wurden in Berlin die Einstürzenden Neubauten gegründet. In dieser Zeit hat die Band um Sänger Blixa Bargeld nicht nur ihr ureigenstes Klanguniversum aufgebaut, sondern auch beständig neue Vertriebswege gesucht und etwa Crowdfunding miterfunden. Am Freitag erscheint mit „Rampen (apm: alien pop music)“ ein neues Album, das auf Liveimprovisationen basiert. Davor sprach Bargeld mit der APA über Knochenbrüche, Sprechwerkzeuge und Hubschrauberdröhnen.

APA: Sie haben schon früher „Rampen“ live aufgeführt und daraus dann im Studio fertige Songs gemacht. Diesmal aber wurde damit ein ganzes Album gefüllt. Sind diese Improvisationen für Sie quasi die Suche nach dem Neuen?

Blixa Bargeld: Es ist gar nicht so sehr die Suche nach dem Neuen. Was das Album homogenisiert ist, dass es alles Rampen aus der 2022er-Tour sind und alle auf demselben Instrumentarium gespielt wurden, das wir dann auch in das Studio verfrachtet haben. Was bei Neubauten immer viel Zeit auffrisst, ist die Forschung, die wir zunächst betreiben. Also womit wir was spielen: Was geht, was geht nicht, was für neue Materialien und Instrumente können wir machen oder bauen? Das ist alles weggefallen.

APA: Sie sagen immer, dass Sie eine Sprache und eine Lösung für das Problem Musik finden müssen. Wie war das diesmal?

Bargeld: Dieser Aspekt blieb mir nicht erspart. Wir haben auf Tour aber gestützte Rampen gespielt. Ich wollte nicht jeden Abend ins kalte Wasser springen und mich darauf verlassen, dass die göttliche Inspiration mit mir ist. Deswegen gab es kleinste Minimalverabredungen, etwa im Sinne wer anfängt. Ich habe mir wiederum in meinen Teleprompter kleine Fragmente geladen, die ich irgendwann geschrieben, aber nicht weiter verfolgt habe. Die bilden die Grundlage für die skelettösen Texte, die ich dann mit Fleisch und Körper versehe. Diesen Teil der Forschung gibt es weiterhin, dafür muss ich eine Lösung finden.

APA: War die Auseinandersetzung mit den Themen für Sie dadurch anders?

Bargeld: Ja, das war bestimmt der Fall. Ich könnte aber nicht genau festmachen, warum. Ich habe mir eine Grundlage hingezaubert, mit der ich mich auseinandersetzen musste. Sonst stehe ich meistens vor einem Garnichts, weil zunächst die Musik entsteht und es dann heißt: He he, das ist jetzt dein Problem. Aber diesmal war etwas da. Ich habe auch alles dringelassen, die verschiedenen Schichten und Ansätze sind noch erhalten. Da geht es auch um das Bedürfnis, die Sprache überhaupt zu verlassen. In „Gesundbrunnen“ heißt es: „Meine Sprechwerkzeuge wollen mich nicht mehr.“ Und davor sind schon mehrere Wörter aufgetaucht, die es im Deutschen eigentlich gar nicht gibt oder bis jetzt nicht gab. Das ist ein Moment, wo ich die Sprache schon verlasse.

APA: Da wird eine andere, fremde Welt aufgemacht, die sich bereits im Untertitel „alien pop music“ andeutet…

Bargeld: Ich fand es an der Zeit, wieder mal einen neuen Genrebegriff zu erfinden. Kürzel mit drei Buchstaben sind ja sehr beliebt. Damals war „Geniale Dilletanten“ eine notwendige Erfindung um etwas zu bezeichnen, für das der Journalismus keine Bezeichnung hatte. Der neue Genrebegriff ist die Idee einer Popmusik, die nicht an den Populismus grenzt, sondern einer Popmusik für die Andersartigen. Ich bin anders, bin seltsam, bin queer, bin alien – aber es ist eine Popmusik. Und dann die Schrift am Cover, eine seltsame Fraktur mit Jugendstilauswüchsen. So muss das sein! Insgesamt zitieren wir damit das „White Album“ der Beatles, nur eben in komplett gelb. Es ist ein bewusstes Spiel mit Zitaten. In einem Paralleluniversum sind wir die Beatles. (lacht)

APA: Im Opener singen Sie „Alles schon geschrieben, alles schon gesagt“. Ist es eine kreative Triebfeder, dem entgegenzuwirken?

Bargeld: Sicher. Ich habe es sozusagen auch nie ernst gemeint. (lacht) Es beschreibt aber, was da mit mir in den nächsten Monaten passieren wird: Die Brust wird ausgefegt. Das Herumwühlen in meinem seelischen Befinden und meinem Unterbewusstsein ist so vorhanden wie sonst auch. Als wir angefangen haben die Platte aufzunehmen, hatte ich mir das Bein gebrochen und saß im Rollstuhl. Ich konnte nicht mehr schlafen und war in klinischer Behandlung. Irgendwann habe ich mir da aber freigegeben und mit den Neubauten dieses Album aufgenommen. In dieser Blase konnte ich irgendwie noch operieren, in diesem Mutterleib. Mit Leuten, die ich seit Dekaden kennen, an Orten, die ich kenne. Da war ich dann irgendwie sicher und geschützt – trotz Rollstuhl. Aber in diesem Zustand der totalen Insomnie ist natürlich die Perforation zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein noch viel ausgeprägter, als sie es normalerweise ist.

Das zeigt sich auch in Stücken wie „Everything Will Be Fine“: Da gibt es sechs Takes, und in jedem erzähle ich etwas anderes. Ausgefleischt und zu Ende geschrieben habe ich das letztendlich am 7. Oktober nach der „Tagesschau“: Hamas-Überfall und dann natürlich die Gesamtsituation überhaupt, AfD, Rechtsruck in Europa und auf der Welt, wird Trump schon wieder Präsident? Dann entsteht zwischen den Eheleuten Bargeld die Diskussion: Wo sollen wir jetzt noch hin? Das schlägt sich dann da nieder: „Everything Will Be Fine, wer’s glaubt wird selig.“ Gleichzeitig zynisch. Alle Dinge sind irgendwo auch verankert und gerechtfertigt in meinem Leben, sind nicht nur sprachliche Konstruktionen. Gerade die Beschäftigung mit Gender und Identität, die mehrfach vorkommt, ist etwas, das in meiner Lebens- und Familiensituation präsent ist. Damit beschäftige ich mich und muss das auch zu Ende denken.

APA: Wie optimistisch sind Sie, dass die Menschheit aus all diesen Dingen etwas lernt?

Bargeld: Man sagt mir nicht gerade nach, dass ich optimistisch wäre. Sagen wir so: Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Noch nich, noch nich. Dieses Stück, „Ick wees nich (noch nich)“, ist übrigens eine Improvisation aus Wien, aus der Arena. Da dachte ich mir: Ihr habt Schmäh, ich geb‘ euch Berlinerisch zurück.

APA: Im Herbst beginnt auch Ihre neue Tour zum Album mit einem Open-Air-Auftritt in der Arena.

Bargeld: Ja! Das war letztens ein sehr schönes Konzert. Es gibt daneben so eine Rettungsstelle (ÖAMTC-Stützpunkt, Anm.). Dann flogen die Helikopter drüber und ich dachte: Wow, hätte ich nie bezahlen können, so einen Auftritt. Passte wunderbar, fand ich gut.

APA: Was passiert mit Ihnen, wenn Sie auf die Bühne gehen?

Bargeld: Es ist ja bekannt, dass ich barfuß spiele. Auf der Bühne verlasse ich das normale Raumzeitkontinuum und betrete einen anderen Bezirk. Es ist ein gewisser Respekt vor der Bühnensituation. Ich lasse etwas draußen. Ich habe mich bestimmt viele Male auf der Bühne verletzt, aber ich merke nichts davon. Als ich in Rom von der Bühne gefallen bin, habe ich das Konzert mit einem gebrochenen Bein zu Ende gespielt. Erst stehend, dann hat man mir freundlicherweise einen Stuhl gebracht. Und dann war die Tour zu Ende. (lacht)

APA: Welche Rolle spielt für Sie Vergänglichkeit?

Bargeld: Ich musste meiner Frau irgendwann versprechen, dass ich das Thema nicht mehr abhandle. Keine Songs über den Tod mehr, danke! Aber ja, Vergänglichkeit, Zeit, Veränderung, das ist alles definitiv drin. Es tun sich auch ein paar lose Enden auf, mit denen ich weiterarbeiten kann. Musizieren ist für mich nicht nur die Lösung eines Problems, sondern auch der Versuch, mittels der Musik zu denken. Also ein Versuch des Erkenntnisgewinns. Ich hoffe, das gelingt mir noch eine Weile.

(S E R V I C E – Tourauftakt am 5. September in der Wiener Arena; https://neubauten.org/de)

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