Keine NATO-Truppen in Ukraine geplant – Kritik an Macrons Aussagen
Kritik an Aussagen Frankreichs aus mehreren EU-Ländern – Schallenberg: Debatte, die wir nicht wirklich brauchen
Nach der von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron losgetretenen Debatte über eine mögliche Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine hat NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg versichert, dass die NATO keine derartigen Pläne habe. Das Bündnis leiste in der Ukraine „beispiellose Unterstützung“ und habe diese nach der Invasion verstärkt. Ein Einsatz von Kampftruppen vor Ort in der Ukraine sei jedoch nicht geplant, sagte Stoltenberg am Dienstag der Nachrichtenagentur AP.
Eine Entsendung von Truppen in die Ukraine wäre nach Worten von Kreml-Sprecher Dmitri Peskow auch „nicht im Interesse“ westlicher Länder. „Das ist absolut nicht im Interesse dieser Länder, darüber müssen sie sich bewusst sein“, sagte Peskow. „In diesem Fall brauchen wir nicht über die Möglichkeit, sondern müssen über die Unvermeidlichkeit (eines direkten Konflikts) zu sprechen.“ Der Westen müsse sich fragen, ob dieses Szenario im Interesse der Länder und ihrer Völker sei. „Die bloße Tatsache, dass die Möglichkeit des Einsatzes bestimmter Kontingente aus NATO-Ländern in der Ukraine diskutiert wird, ist ein sehr wichtiges neues Element“, betonte Peskow.
Der französische Staatschef hatte am Montagabend erklärt, dass eine Entsendung von Truppen „nicht ausgeschlossen“ werden könne. Es gebe zwar derzeit keinen Konsens, sagte Macron zum Abschluss einer internationalen Ukraine-Konferenz in Paris, an der auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) teilnahm. „Aber nichts darf ausgeschlossen werden, um zum Ziel zu kommen.“ Das Ziel sei, dass Russland nicht gewinnen dürfe. Premierminister Gabriel Attal unterstrich am Dienstag die Aussagen Macrons: „Man kann nichts ausschließen in einem Krieg (…) im Herzen Europas“, sagte Attal im Radiosender RTL. Dass die Möglichkeit von Bodentruppen nun diskutiert werde, sei ein „sehr wichtiges neues Element“ in dem Konflikt, betonte Peskow am Dienstag.
Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak begrüßte Macrons Äußerungen. Sie zeigten ein Bewusstsein für „die Risiken, die Europa durch ein militaristisches, aggressives Russland drohen“. Der Beginn einer Debatte über die Möglichkeit einer direkten Unterstützung der Ukraine durch Streitkräfte solle „als Wunsch angesehen werden, die richtigen Akzente zu setzen, die Risiken deutlicher hervorzuheben“. Wichtig sei derzeit, die Lieferung von Militärausrüstung an die Ukraine zu beschleunigen.
Mehrere EU-Länder kritisierten allerdings die Aussagen Macrons. Diesen gehen „in die Gegenrichtung“ zu dem, was es derzeit eigentlich brauche, nämlich eine „diplomatische Perspektive“, kritisierte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP). „Es gab ganz offensichtlich in Paris gestern überhaupt keinen Konsens dazu“, betonte er. „Und es ist schon erstaunlich, wenn man mit einem Thema, das keinen Konsens hat, rausgeht und damit eine Debatte erzeugt, die wir nicht wirklich brauchen“, sagte der Außenminister auf eine Frage der APA vor dem Abflug zu einer viertägigen Nahost-Reise, die ihn nach Israel, Palästina, Jordanien und in den Libanon führt.
Schallenberg unterstrich, dass Kanzler Nehammer beim Gipfel am Montag in Paris die österreichische Position deutlich gemacht habe. „Wir brauchen auch wieder eine politische, diplomatische Perspektive in diesem Konflikt. Truppen entsenden ist eigentlich ein Zeichen in die Gegenrichtung, auch wenn man sagt, das ist nicht ein Thema von Artikel 5 des Washingtoner Vertrags“, so der Außenminister unter Verweis auf die Beistandsverpflichtung der NATO.
Angesprochen auf Macrons Äußerungen meinte Bundeskanzler Nehammer am Dienstag am Rande einer Pressekonferenz, dass es darum gehe, die „europäische Echokammer“ zu verlassen und andere Staaten für die europäische bzw. westliche Friedensinitiativen zu gewinnen. Explizit nannte er dabei die BRICS-Staaten, also Brasilien, Indien und China, die großen Einfluss auf Russland hätten.
Auch in Deutschland stießen Macrons Äußerungen parteiübergreifend auf Ablehnung. Kanzler Olaf Scholz schloss die Entsendung von Bodentruppen aus NATO-Staaten in den Ukraine-Krieg kategorisch aus. Bei dem Treffen von mehr als 20 Staats- und Regierungschefs zur Unterstützung der Ukraine am Montagabend in Paris habe man besprochen, „dass das, was von Anfang an untereinander und miteinander festgelegt worden ist auch für die Zukunft gilt, nämlich dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden geben wird, die von europäischen Staaten oder von NATO-Staaten dort hingeschickt werden“, sagte Scholz am Dienstag in Freiburg. Kritik an Macrons Aussagen kam auch von CDU, FDP, Grünen, AfD und Linkspartei.
Ablehnend bezüglich Bodentruppen äußerten sich auch die Ministerpräsidenten Tschechiens und Schwedens, Petr Fiala und Ulf Kristersson. Tschechien erwäge keine Entsendung von Soldaten in die Ukraine, so Fiala. Auch für Schweden sei die Entsendung westlicher Soldaten in die Ukraine derzeit „kein Thema“, so Kristersson. Derzeit „sind wir damit beschäftigt, fortschrittliche Ausrüstung in die Ukraine“ zu schicken. Es gebe keine Anfrage der ukrainischen Seite nach Bodentruppen, gab Kristersson weiter an.
Auch Polen plane keine Entsendung eigener Einheiten, sagte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk nach einem Treffen mit seinem tschechischen Kollegen Fiala in Prag. Man müsse sich heute darauf konzentrieren, die Ukraine in ihren eigenen militärischen Anstrengungen gegen die russische Invasion maximal zu unterstützen. Er wolle zum jetzigen Zeitpunkt nicht spekulieren, ob es in der Zukunft unter bestimmten Unterständen zu einer Änderung dieses Standpunktes kommen könne, so Tusk. Im gleichen Sinne äußerte sich auch Fiala. „Es ist nicht nötig, neue Wege zu suchen“, betonte der liberalkonservative Politiker. Er verwies auf eine Initiative seiner Regierung, in Kooperation mit anderen europäischen Staaten wie den Niederlanden Artilleriemunition aus Drittländern zu beschaffen und an Kiew zu liefern.
Ungarn lehnte eine militärische Unterstützung der Ukraine kategorisch ab. „Ungarns Haltung ist klar und eindeutig: Wir sind nicht bereit, Waffen oder Truppen in die Ukraine zu schicken“, sagte Außenminister Péter Szijjártó.
Auch Großbritannien beabsichtigt nach Angaben eines Regierungssprechers keinen Truppeneinsatz in der Ukraine. „Abgesehen von der geringen Anzahl von Mitarbeitern, die wir zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte im Land haben, gibt es keine Pläne für einen großangelegten Einsatz“, sagt der Sprecher von Premierminister Rishi Sunak. Großbritannien unterstütze die Ukraine mit Ausrüstung. Zudem würden in Großbritannien zahlreich ukrainische Soldaten ausgebildet.
Die einzige EU-Atommacht Frankreich hatte wie mehrere andere europäische Staaten jüngst Sicherheitsabkommen mit der Ukraine geschlossen. Die europäischen Bündnispartner stehen angesichts der Blockade der US-Militärhilfe durch die oppositionellen Republikaner und Ansagen des wahrscheinlichen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, NATO-Partnern bei einem Angriff durch Russland nicht zur Hilfe kommen zu wollen, unter besonderem Druck, ihre Verteidigungskapazitäten gegenüber dem Aggressorstaat zu stärken. Österreich beteiligt sich als neutraler Staat nicht an der militärischen Hilfe für die Ukraine.