Nahost – Gespräche in Kairo über Feuerpause in Gaza
US-Präsident Biden fordert mindestens sechswöchige Waffenruhe – Deutschland und Italien mahnen Israel
Die internationale Gemeinschaft erhöht wegen der israelischen Vorbereitungen für einen groß angelegten Militäreinsatz in Rafah den Druck auf Israel, in eine Waffenruhe mit der radikalislamischen Hamas einzuwilligen. Spitzenvertreter aus den USA, Israel, Katar und Ägypten bemühen sich am Dienstag bei einem Treffen in Kairo um eine Feuerpause im Gaza-Krieg.
Der Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad, David Barnea, traf für Gespräche in Kairo ein, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen des Flughafens erfuhr. Er wurde demnach unter anderem begleitet vom Leiter des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar. Auch aus israelischen Regierungskreisen verlautete am Dienstag, die Delegation sei in Kairo zu neuen Verhandlungen über einen weiteren Geisel-Deal. Katars Ministerpräsident und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani und der Chef des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, William Burns, trafen den Kreisen zufolge ebenfalls am Dienstag in der ägyptischen Hauptstadt ein.
Ägypten, Katar und die USA bemühen sich derzeit erneut darum, eine längere Feuerpause im Gaza-Krieg herbeizuführen. Im Rahmen eines Abkommens sollen in mehreren Phasen die noch immer im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln gegen palästinensische Gefangene in Israel ausgetauscht werden. Die Verhandlungen kamen zuletzt nur schleppend voran.
US-Präsident Joe Biden forderte zuvor, die in der Stadt im südlichen Gazastreifen festsitzenden Zivilisten müssten „geschützt“ werden. Nach einem Treffen mit dem jordanischen König Abdullah II. im Weißen Haus sagte Biden, viele Menschen in Rafah seien „mehrfach vertrieben“ worden, „vor der Gewalt im Norden geflohen, und jetzt drängen sie sich in Rafah – ungeschützt und angreifbar“. Die US-Regierung arbeite an einem „Abkommen zur Geiselfreilassung, das für den Gazastreifen eine sofortige und mindestens sechswöchige Ruhephase“ bringen werde. Abdullah II. drang in Washington auf eine „sofortige dauerhafte Feuerpause“ für den Gazastreifen. „Wir können keinen israelischen Angriff auf Rafah zulassen. Das wird sicherlich eine weitere humanitäre Katastrophe verursachen.“
In der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens direkt an der Grenze zu Ägypten sind angesichts der israelischen Angriffe mehr als eine Million Flüchtlinge aus anderen Teilen des Palästinensergebietes gestrandet. Südafrika stellte am Dienstag beim Internationalen Gerichtshof (IGH) einen Eilantrag gegen Israel wegen der Offensive auf Rafah im Süden des Gazastreifens. Das teilt das südafrikanische Präsidialamt mit. Der israelische Regierungschef Netanyahu hatte seine Armee in der vergangenen Woche angewiesen, einen „kombinierten Plan zur Evakuierung der Bevölkerung und zur Zerstörung der Bataillone“ der Hamas in Rafah vorzulegen.
UNO-Sprecher Stephane Dujarric sagte, es gebe „aktuell keinen sicheren Ort im Gazastreifen“. Auf die Frage nach einer Evakuierungsaktion sagte er, die UNO werde „bei einer erzwungenen Vertreibung von Menschen nicht mitmachen“.
Bei einem israelischen Angriff im südlichen Gazastreifen sind unterdessen zwei Journalisten des Fernsehsenders Al Jazeera schwer verletzt worden. Ein Reporter schwebe nach der Amputation seines rechten Beins in Lebensgefahr, die Ärzte versuchten, sein linkes Bein zu retten, teilte der katarische TV-Sender unter Berufung auf einen Notarzt mit. Auch der den Reporter begleitende Kameramann schwebe in Lebensgefahr, nachdem er von einer israelischen Drohne im Norden von Rafah getroffen worden sei, teilte der Sender weiter mit.
Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock mahnte Israel zur Zurückhaltung bei militärischen Angriffen auf Rafah. Es gebe das Recht auf Selbstverteidigung Israels gegen die Hamas, aber nicht das Recht auf Vertreibung der Zivilbevölkerung, sagt sie nach einem Treffen mit dem Außenminister der Palästinensischen Autonomiebehörde, Riad Maliki, am Dienstag.
Auch Italiens Außenminister Antonio Tajani hat Israels Vorgehen im Gazastreifen in ungewöhnlich deutlichen Worten kritisiert. Die israelische Reaktion nach dem Massaker der Palästinenserorganisation Hamas von Oktober sei inzwischen „unverhältnismäßig“, sagte der Vize-Regierungschef am Dienstag im italienischen Sender Radio 1. „Es gibt zu viele Opfer, die überhaupt nichts mit der Hamas zu tun haben.“ An die Regierung von Ministerpräsident Netanyahu appellierte Tajani, Repressalien gegen die Zivilbevölkerung zu unterlassen.
Das chinesische Außenministerium rief Israel auf, seinen Militäreinsatz in Rafah „so schnell wie möglich“ zu stoppen, „um unschuldige zivile Opfer und eine noch schlimmere humanitäre Katastrophe zu vermeiden“.
Russland sagte seine Unterstützung bei den Bemühungen um eine Feuerpause zu. „Wir sind bereit, alles zu unterstützen, was zur Freilassung der Geiseln und zu einer Waffenruhe führen wird. Aber es sollte konstruktiv sein und auf eine umfassende Lösung des Problems im Rahmen des internationalen Rechts und der zuvor verabschiedeten Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates hinauslaufen“, sagt der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow.
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag, Karim Khan, äußerte sich alarmiert über einen möglichen israelischen Bodeneinsatz in Rafah. Er sei „zutiefst besorgt über die Berichte über Bombardierungen“ und einen möglichen Bodenangriff israelischer Streitkräfte in Rafah, erklärte Khan im Onlinedienst X (vormals Twitter).
Bei dem beispiellosen Überfall der von der EU und der USA als Terrororganisation eingestuften Hamas auf Israel am 7. Oktober waren israelischen Angaben zufolge rund 1.160 Menschen getötet und 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden. Laut der jüngsten AFP-Zählung werden noch immer 130 Geiseln im Gazastreifen festgehalten.
Israel hat als Reaktion auf den Angriff der Hamas deren Vernichtung angekündigt. Bei dem massiven Militäreinsatz im Gazastreifen sind nach jüngsten Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, mehr als 28.400 Menschen getötet worden.