Milo Rau: "Es werden die politischsten Festwochen der Geschichte"

Für Raus "La Clemenza di Tito", Holzingers "Sancta" und Jatahys "Hamlet" ab heute Karten erhältlich – "Akademie Zweite Moderne" für Komponistinnen – Karl Kraus als "methodische Chiffre"

Am 17. Mai 2024 starten die ersten Wiener Festwochen unter der Intendanz von Milo Rau. „Kuratorisch betrachtet stehen 90 Prozent des Programms. Einige Positionen halten wir bewusst noch offen“, sagt der neue Leiter. Das genaue Programm wird erst am 1. März vorgestellt, doch über drei Produktionen gibt er bereits Auskunft. Für diese sind im Rahmen einer Vorweihnachtsaktion von heute an bis 14. Jänner 2024 im Internet Karten mit 20 Prozent Rabatt erhältlich.

Klar ist bereits: Dieses Frühjahr finden in Ostösterreich Milo-Rau-Festspiele statt. Dafür sind nicht nur die Wiener Festwochen verantwortlich, denn wenige Wochen davor gastiert seine Operninszenierung „Justice“ bei der Tangente St. Pölten. „Das stand schon lange fest, ehe überhaupt die Festwochen-Intendanz in den Bereich des Möglichen rückte“, erklärt er im Gespräch mit der APA. „Aber ich finde, das ist ein super-schöner Prolog.“

Sein Operndebüt, Mozarts „La Clemenza di Tito“, hätte schon 2021 bei den Festwochen herauskommen sollen, wurde dann aber ein Coronaopfer. Zu sehen war ein Livestream aus der Oper Genf, heuer im September wurde in Antwerpen das Konzept nochmals neu überarbeitet und zur Premiere gebracht. „In Wien mache ich eine Neuinszenierung – mit 18 Wienerinnen und Wienern. Ab Jänner casten wir. Das ist meine Hommage an die Stadt Wien und mein Ankommen. Es soll auch eine kleine Geschichte des jetzigen Wiens sein. Das ist meine Art, in einer Stadt zu landen. In Gent war es der Genter Altar, wo man Bürger und Bürgerinnen eingeladen hat, durch eine Produktion die Stadt zu verstehen. In ‚Clemenza‘ geht um Staatsstreich, Krieg und Katastrophenerfahrung – und gleichzeitig um das Klischee von Wien, gebrochen durch das Prisma Mozart.“

Zu den „demütigen Beiträgen, die ich selber an dieses Festival mache“, werde 2024 noch eine Arbeit aus dem Theaterbereich kommen, sagt Rau. „Vertraglich bin ich dazu verpflichtet, dass ich pro Festwochen zwei Arbeiten von mir zeige.“

Auch die zweite Festwochen-Produktion, die nun in den Vorverkauf geht, ist eine ungewöhnliche Operninszenierung: „Hardcore-Performance meets Opera“, nennt das Rau. Die österreichische Choreografin und Performerin Florentina Holzinger widmet sich Paul Hindemiths 1922 uraufgeführter Oper „Sancta Susanna“. Die Premiere findet am 30. Mai 2024 in Schwerin statt. Angekündigt ist „eine musikalische und performative Reflexion über Körper und Sexualität, die gemeinsam mit dem Publikum zur Feier einer feministischen Messe wird“, „ein Ensemble von Opernsängerinnen, Sexarbeiterinnen und Body-Modification-Artists“ sowie eine zwei Tonnen schwere Glocke, eine Skateboard-Halfpipe und ein Wasserfall. Der Hype um Holzinger bestehe zu recht, meint der Intendant. „Das ist absolut durchchoreografiertes High-End-Tanztheater, richtig krass. Diese Mischung ist einzigartig: Hat man eine Produktion von ihr gesehen, erinnert man sich immer daran. Und gleichzeitig ist das für mich typisch Wien.“

Mit einem Sprechtheaterklassiker konfrontiert Produktion Nr. 3: Shakespeares „Hamlet“ wird von der brasilianisches Regisseurin Christiane Jatahy, bereits mehrfach bei den Festwochen zu Gast, feministisch interpretiert. „Hamlet erwacht in der Gegenwart als Frau und sieht sich mit der Gewalt des Patriarchats konfrontiert. Bewaffnet mit einer Kamera untersuchen Hamlet, ihre Mutter Gertrude und ihre Verlobte Ophelia Vergangenheit und Gegenwart“, heißt es in der Ankündigung zu der Produktion, die am Pariser Odéon-Théâtre de l’Europe Premiere hat. „Der Sprechtheaterkanon ist wichtig – aber immer mit einem Zugriff, der möglichst etwas anderes hervorbringt als das, was wir alle kennen“, meint Milo Rau.

Die nun im Vorverkauf angebotenen ersten Produktionen „sind drei Zugriffe, die symptomatisch für das stehen, was mich an Kunst und Kultur interessiert. Natürlich könnte man einwenden, dass das drei relativ abgesicherte Positionen sind, aber Newcomer und Entdeckungen wird es auch geben“, verspricht Rau. „Und wir wollen stark auf Eigen- und Koproduktionen setzen, 2025 noch stärker als 2024. Festivals müssen auch Experimentalräume sein. Und auf den lokalen Kontext eingehen.“ Das Schönberg-Jahr werde sich ebenso im Festwochen-Programm niederschlagen wie das Karl-Kraus-Jahr. „Uns war sofort klar, dass es keinen Sinn hat, wieder ‚Die letzten Tage der Menschheit‘ zu machen. So legen wir ihn wie eine methodische Chiffre über das Programm.“

Bis morgen, Freitag, besteht noch die Möglichkeit, sich für ein anderes Festwochen-Projekt zu bewerben: Die „Akademie Zweite Moderne“ soll von 7. bis 9. Juni 2024 Komponistinnen und Institutionen als Austauschplattform und als Vernetzungsmöglichkeit dienen. Neben angestrebten Uraufführungen ist es erklärtes Ziel, die eklatante Unterrepräsentanz von Komponistinnen im Konzertbetrieb zu beseitigen. Für Aufführungen steht das Klangforum Wien zur Verfügung, als Schirmherrin wurde Nuria Schoenberg-Nono gewonnen, die 91-jährige Tochter Arnold Schönbergs und Witwe des Komponisten Luigi Nono. Während Raus Amtszeit sollen jährlich zehn Komponistinnen dazu eingeladen werden, sodass am Ende 50 Frauen dabei waren. „Und wenn man mich nach den ersten fünf Jahren nicht aus der Stadt jagt, dann werden wir das auf zehn Jahre verlängern. Vielleicht geht das ja auch jenseits von mir und den Festwochen weiter. Ich bin ja in meiner Freizeit Marxist, und von daher weiß ich: Es ist wichtig, die Strukturen zu verändern.“

„Es werden die politischsten Wiener Festwochen der Geschichte, das kann man, glaube ich, sagen“, fasst Milo Rau zusammen. „Wir wollen aber keine Belehrungen der Welt.“ Deswegen wird seine „Wiener Erklärung“, analog zu seinem „Genter Manifest“, das in der Theaterwelt Furore machte, als verschriftlichtes Mission Statement seiner Arbeit für diese Stadt, erst den „großen Abschluss“ seiner ersten Festwochen bilden.

Ganz am Anfang steht aber traditionell die Eröffnung am Wiener Rathausplatz. „Das ist tatsächlich eine Baustelle“, gibt er zu. In der Vergangenheit war dies meist ein Open-Air-Konzert, das mit dem Rest der Festwochen kaum etwas zu tun hatte. Doch die Möglichkeit, zum Auftakt vor einem breiten Publikum für sein Programm zu werben, will er sich nicht entgehen lassen: „Diesen Moment zu nutzen, das ist eines der Dinge, an denen wir dran sind. 50.000 Menschen sind eine unglaubliche Chance – das sind mehr Leute, als in Avignon beim ganzen Festival vorbeischauen …“

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E – www.festwochen.at )

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