Nahost – Heftige Kämpfe im Süden des Gazastreifens
Drei weitere israelische Soldaten getötet – Telekommunikationsnetze teilweise wieder hergestellt
Im Krieg gegen die radikalislamische Hamas hat die israelische Armee ihre Offensive im südlichen Gazastreifen deutlich ausgeweitet. In der Nacht auf Dienstag gab es Augenzeugen zufolge heftige Kämpfe in der Nähe von Khan Younis und Luftangriffe bei Rafah ganz im Süden des Palästinenser-Gebiets. Der bewaffnete Arm der Hamas feuerte nach eigenen Angaben Raketen auf die südisraelische Stadt Beersheva ab. Eine UNO-Vertreterin warnte vor einem „noch höllischeren Szenario“ in Gaza.
Die militant-islamistische Hamas erklärte im Onlinedienst Telegram, ihre Kämpfer hätten in der Nähe von Khan Younis zwei Truppentransporter und einen Panzer angegriffen. Khan Younis ist derzeit das Zentrum der Kämpfe. Am Montag waren nach Angaben von Augenzeugen Dutzende israelische Panzer, Truppentransporter und Bulldozer in den Süden des Palästinenser-Gebiets eingedrungen. Die israelische Armee erklärte, sie ergreife „aggressive“ Maßnahmen gegen die „Hamas und andere terroristische Organisationen“ in Khan Younis.
Die palästinensische Nachrichtenagentur WAFA berichtete von „mehreren“ Toten bei einem Angriff auf die Stadt Gaza im Norden des Palästinenser-Gebiets. Wochenlang hatten sich die durch den Hamas-Überfall auf Israel vom 7. Oktober ausgelösten israelischen Angriffe auf den Norden des Gazastreifens konzentriert. Bereits am Wochenende war aber auch der Süden stark unter Beschuss genommen worden, darunter das Gebiet um Khan Younis.
Die israelische Armee hatte die Zivilbevölkerung aufgerufen, „falls erforderlich“ sichere Bereiche aufzusuchen. Dafür sei eigens eine „humanitäre Zone innerhalb des Gazastreifens“ eingerichtet worden. Dabei handelt es sich um ein kleines Küstengebiet um den Ort Al-Mawasi. Dem israelischen Militär sei „durchaus bewusst, dass der Platz und der Zugang begrenzt“ seien, sagte Armeesprecher Jonathan Conricus.
Die UNO-Koordinatorin für humanitäre Angelegenheiten in den palästinensischen Gebieten, Lynn Hastings, erklärte, die Voraussetzungen für humanitäre Hilfe im Gazastreifen seien „nicht gegeben“. „Möglicherweise wird sich ein noch höllischeres Szenario entfalten“, warnte Hastings. „Es ist nirgendwo sicher in Gaza und man kann nirgendwo mehr hin“, fügte sie hinzu.
Unterdessen erklärte der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, die israelische Armee habe seine Organisation zur Räumung eines Lagers mit Hilfsgütern im Süden des Gazastreifens aufgerufen. Die israelische Armee wies dies zurück. „Von einem UNO-Vertreter würden wir zumindest mehr Genauigkeit erwarten“, erklärte das Verteidigungsministerium auf X.
Am Montag waren nach Angaben der palästinensischen Telekommunikationsfirma Paltel alle Handy- und Telefondienste im Gazastreifen wegen einer Unterbrechung der Hauptleitungen von israelischer Seite ausgefallen. Die Internetüberwachungsseite Netblocks bestätigte am Dienstag einen „völligen Ausfall der Kommunikation“ im Gazastreifen. Laut palästinensischen Angaben wurden die Telekommunikationsdienste mittlerweile wieder teilweise hergestellt.
Nach Angaben der israelischen Armee vom Dienstag wurden drei weitere Soldaten bei Kämpfen im Gazastreifen getötet. Damit erhöhte sich die Zahl der getöteten Soldaten auf 78.
Nach Angaben zweier hochrangiger israelischer Offiziere wurden beim Militäreinsatz gegen die Hamas doppelt so viele Zivilisten wie Hamas-Kämpfer getötet. Auf Informationen angesprochen, denen zufolge 5.000 Hamas-Kämpfer getötet worden seien, erklärte einer der Offiziere, diese Zahl sei „mehr oder weniger exakt“.
Im von Israel besetzten Westjordanland rückten Dienstag früh israelische Soldaten ein. Bei Zusammenstößen an einem Übergang in der Nähe von Jerusalem wurde ein Palästinenser bei Zusammenstößen getötet, wie das palästinensische Gesundheitsministerium mitteilte.
Die israelische Armee griff nach eigenen Angaben Dienstag früh auch Stellungen der mit der Hamas verbündeten radikalislamischen Hisbollah-Miliz im Libanon und mehrere Ortschaften im Nachbarland an. Es handle sich um eine Reaktion auf Schüsse aus dem Libanon auf den Norden Israels.
Am Freitag war eine siebentägige Feuerpause ausgelaufen, die zur Freilassung von insgesamt 105 Geiseln aus den Händen der Hamas genutzt worden war. Zugleich wurden 240 palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freigelassen. Nach israelischen Angaben hat die Hamas noch 137 Geiseln in ihrer Gewalt, darunter auch die Leichname von 15 Israelis.
Laut einem Regierungssprecher stellt sich Israel auf einen schwierigen weiteren Verlauf seiner Militäroffensive im Gazastreifen ein. „Wir machen jetzt mit der zweiten Phase weiter. Eine zweite Phase, die militärisch schwierig sein wird.“ Er fügte hinzu, Israel sei offen für „konstruktives Feedback“ was die Minderung des Leids für Zivilisten angehe. Die Ratschläge müssten aber im Einklang mit dem Ziel stehen, die Hamas zu zerstören.
Der Krieg zwischen Israel und der Hamas dauert inzwischen bereits mehr als acht Wochen an. Am 7. Oktober waren Hunderte Kämpfer der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas nach Israel eingedrungen und hatten Gräueltaten überwiegend an Zivilisten verübt. Israelischen Angaben zufolge wurden etwa 1.200 Menschen getötet und rund 240 Menschen als Geiseln verschleppt.
Als Reaktion begann Israel mit den massiven Angriffen auf Ziele im Gazastreifen. Nach Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden seitdem fast 15.900 Menschen in dem Palästinenser-Gebiet getötet, die meisten von ihnen Zivilisten.