Nahost – Netanyahu kündigt "nächste Phase" im Kampf gegen Hamas an
Israels Armee: Hunderttausende in Süden gegangen – Über 2200 Palästinenser in Gaza getötet Israel bereitet Bodenoffensive vor – EU verdreifacht Hilfe
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat die nächste Phase der Vergeltung gegenüber der radikalen Hamas angekündigt. Bei einem Truppenbesuch nahe der Grenze zum Gazastreifen sagte er am Samstag zu den Soldaten: „Seid ihr bereit für die nächste Phase? Die nächste Phase kommt.“ In dem Video war zu sehen, wie die Soldaten nickten. Zuvor hatte die israelische Armee durchblicken lassen, dass sie der Evakuierung im Gazastreifen mehr Zeit geben werde.
Das Ultimatum Israels zur Evakuierung von Gaza-Stadt war bereits am Freitag ausgelaufen. Am Samstag teilte die israelische Armee mit, dass sich Hunderttausende auf den Weg in Richtung Süden gemacht hätten. „Wir sind uns im Klaren, dass dies Zeit brauchen wird“, sagte Militärsprecher Richard Hecht am Samstag. Die Hamas versuche auch, die Zivilisten aufzuhalten. Das israelische Militär hatte zuvor den Einwohnern des nördlichen Gazastreifens für Samstag einen Zeitraum und eine Fluchtroute ohne Angriffe zugesichert. Zwischen 10.00 und 16.00 Uhr Ortszeit (09.00 bis 15.00 Uhr MESZ) sollten die Bewohner von Beit Hanun auf einer eingezeichneten Fluchtroute nach Khan Yunis gehen, wie ein Sprecher der Armee in arabischer Sprache auf der Plattform X (früher Twitter) mitteilte. Dort sei in den angegeben Stunden Bewegung „ohne Schaden“ möglich.
Beobachter gehen davon aus, dass das israelische Militär die mehr als eine Million Palästinenser im Norden des Küstenstreifens zur Evakuierung in den Süden des Gazastreifens aufgefordert hat, weil eine Bodenoffensive bevorsteht. Seit dem beispiellosen Massaker an israelischen Zivilisten durch Terroristen im Auftrag der Hamas in Grenzorten und auf einem Musikfestival fliegt das israelische Militär massive Luftangriffe auf Ziele in dem dicht besiedelten Küstenstreifen.
Unterdessen tötete das israelische Militär bei Angriffen auf Einsatzzentralen der islamistischen Hamas im Gazastreifen einen der mutmaßlich Verantwortlichen des Massakers an israelischen Zivilisten. Merad Abu Merad, Leiter des Hamas-Luftüberwachungssystems in Gaza-Stadt, sei maßgeblich für die Steuerung der Terroristen während des Massakers verantwortlich gewesen, teilte das israelische Militär Samstag früh mit. Auch Ali Kadi, der als Kommandant einer Eliteeinheit den Überfall bewaffneter Kämpfer auf Ortschaften im Süden Israels vor einer Woche angeführt hatte, sei bei einem Luftangriff getötet worden, teilte die Armee am Samstag mit.
Die Zahl der bei israelischen Angriffen im Gazastreifen getöteten Palästinenser stieg auf 2.215. Zudem seien 8.714 Menschen verletzt worden, teilte das Gesundheitsministerium im Gazastreifen am Samstag mit. Hamas-Angaben zufolge starben bei israelischen Luftangriffen auch neun Geiseln, darunter vier Ausländer.
Terroristen hatten vor genau einer Woche im Auftrag der Hamas ein Massaker unter israelischen Zivilisten in Grenzorten und auf einem Musikfestival angerichtet – das schlimmste seit Israels Staatsgründung. Mehr als 1.300 Menschen kamen dabei ums Leben. Darunter seien auch mindestens 265 israelische Soldaten, teilte Militärsprecher Richard Hecht am Samstag mit. Die weitaus meisten der bei den Großangriffen getöteten Menschen sind demnach Zivilisten. Bei 120 Menschen gelte als gesichert, dass sie in den Gazastreifen verschleppt worden sind, sagte Hecht.
Unterdessen tötete das israelische Militär nach eigenen Angaben mutmaßliche Terroristen beim versuchten Eindringen vom Libanon aus nach Israel. Wie das israelische Militär am Samstagmorgen bekannt gab, hätten Soldaten eine „Terrorzelle“ identifiziert, die versucht habe, vom Libanon aus in israelisches Gebiet einzudringen. Eine Drohne des Militärs habe „einige der Terroristen“ getötet, hieß es. Seit dem Terror-Angriff der palästinensischen Hamas auf Israel vom vergangenen Wochenende kam es an Israels Grenze zum Libanon im Norden immer wieder zu Kampfhandlungen mit der Hisbollah-Miliz.
An Israels Aufforderung zur Massenevakuierung gibt es viel Kritik. Die Vereinten Nationen forderten Israel bereits am Freitag auf, die Anweisung zu widerrufen. Es drohe eine „katastrophale Situation“. Auch aus Saudi-Arabien sowie Ägypten und Jordanien gab es scharfe Kritik. Der türkische Außenminister Hakan Fidan sagte am Samstag in Kairo, sein Land lehne eine Ausweisung von Palästinensern aus dem Gazastreifen ab. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock drängte nach Gesprächen in Kairo auf rasche humanitäre Hilfe für den Gazastreifen. „Den Menschen in Gaza fehlt es gerade an allem“, sagte sie. Ihr österreichischer Kollege Alexander Schallenberg (ÖVP) stellte sich indes klar hinter Israel. „Jedes zivile Opfer im Gazastreifen ist der Hamas zuzuschreiben“, sagte Schallenberg im Ö1-„Journal zu Gast“ am Samstag. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz ließ nach einem Telefonat mit Netanyahu am Samstag mitteilen, dass er sich mit diesem einig sei, eine Ausbreitung des Konflikts zu vermeiden.
Laut dem UNO-Büro für humanitäre Hilfe (OCHA) sind bereits vor der Aufforderung zur Evakuierung insgesamt 400.000 Palästinenser wegen des Konflikts vertrieben worden. „Zivilisten müssen geschützt werden. Wir wollen keinen Massenexodus von Gaza-Bewohnern erleben“, betonte UNO-Sprecher Stephane Dujarric. Palästinenser erinnert die Vorstellung, das Land zu verlassen an die „Nakba“ („Katastrophe“) des Jahres 1948, als infolge der Staatsgründung Israels viele Einwohner Palästinas ihre Häuser verließen. Viele ihrer Nachkommen leben auch heute noch unter prekären Bedingungen in Flüchtlingslagern.
Die EU-Kommission erhöhte indes die humanitäre Hilfe für den Gazastreifen massiv. Wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach einem Gespräch mit UNO-Generalsekretär António Guterres mitteilte, wird die Hilfe um 50 Millionen Euro auf insgesamt mehr als 75 Millionen Euro aufgestockt. „Die Verdreifachung der humanitären Hilfe der EU wird dazu beitragen, dass die Zivilbevölkerung in Gaza mit dem Nötigsten versorgt werden kann“, teilte der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Janez Lenarčič, mit. Laut WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus landete ein Flugzeug mit medizinischen Hilfsgütern bereits im Nordosten Ägyptens nahe des Grenzübergangs Rafah zum Gazastreifen. „Wir sind bereit, die Hilfsgüter zu verteilen, sobald ein humanitärer Zugang über den Übergang gewährleistet ist“, schrieb Tedros auf der Social-Media-Platform X.