IHS-Chef: "Wirtschaftslage kein Anlass für allgemeines Konjunkturprogramm" – Inflation weiterhin hoch, deutlicher Rückgang im kommenden Jahr – Arbeitsmarkt robust – Budgetdefizit sinkt
Angesichts der erwarteten „milden Rezession“ heuer und dem leichten Aufschwung im kommenden Jahr sprechen sich Wifo und IHS gegen ein umfassendes Konjunkturpaket aus. „Die Wirtschaftslage gibt der Politik definitiv keinen Anlass für ein allgemeines Konjunkturprogramm“, sagte der seit Juli amtierende IHS-Chef Holger Bonin am Freitag bei der Präsentation der Konjunkturprognose. Bonin und Wifo-Chef Gabriel Felbermayr sehen aber Unterstützungsbedarf für die Bauwirtschaft.
Die Wirtschaftsforscher vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) und vom Institut für Höhere Studien (IHS) erwarten heuer und im kommenden Jahr einen Einbruch der Bauinvestitionen, vor allem im Hochbau. Wenn es kein Programm der öffentlichen Hand für den Bausektor gebe, werde ein Teil der Beschäftigten abgebaut, dann in andere Sektoren abwandern und im Aufschwung sowie für die „Ökologisierung der Wohnimmobilien“ nicht mehr zur Verfügung stehen, warnte Felbermayr. Auch für Bonin ist es „sinnvoll, Kapazitäten im durch die gestiegenen Zinsen angeschlagenen Bausektor mit Anreizen und Rechtssicherheit für die energetische Gebäudesanierung sowie mehr sozialen Wohnbau zu erhalten“.
Für den heuer schrumpfenden und 2024 stagnierenden Industriesektor sehen die heimischen Top-Ökonomen keinen Bedarf für ein Konjunkturprogramm. Die Regierung solle sich auf „strukturelle Reformen konzentrieren“, so der IHS-Chef. Felbermayr warnte davor, „noch ein paar Milliarden Schulden zu machen“. Der öffentliche Schuldendienst werde durch den starken Anstieg der Zinsen teurer.
Wifo und IHS haben am Freitag ihre Konjunkturprognose für Österreich gegenüber der Juni-Schätzung deutlich nach unten korrigiert und rechnen nun für heuer mit einer Rezession. Für 2023 wird ein Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,8 bzw. 0,4 Prozent erwartet, bei der Sommerprognose war noch ein Wirtschaftswachstum von 0,3 bzw. 0,5 Prozent prognostiziert worden. Außerdem hoben Wifo und IHS die Inflationsprognose für 2023 leicht auf 7,7 bzw. 7,8 Prozent an.
„Konjunkturell ist das Jahr 2023 zum Vergessen“, sagte Wifo-Direktor Felbermayr. „Die gute Nachricht ist, dass die Rezession in ihren letzten Zügen liegt.“ Die Frühindikatoren würden „zaghaft auf eine Trendumkehr“ hinweisen, so Felbermayr. Deutlichen Handlungsbedarf sieht der Wifo-Chef bei der Reduktion der Treibhausgasemissionen. Die Abweichung vom Reduktionszielpfad des türkis-grünen Regierungsprogramms 2020-2024 betrage bis Ende 2024 laut Wifo-Prognose bereits 20 Prozent.
Für den IHS-Chef hat Österreichs Wirtschaft, „das Schlimmste schon hinter sich“. Im nächsten Jahr gehe es „schon wieder konjunkturell aufwärts“, der Konjunkturverlauf gebe „keinen Anlass, in einen Krisenmodus zu verfallen“, so Bonin.
Starke Zinssteigerungen, gedämpfte Kaufkraft, hohe Energiepreise und eine schwache internationale Konjunktur belasten die heimische Wirtschaftsentwicklung im laufenden Jahr. Neben der Industrie schrumpft heuer auch der Handel. Im Bereich Gastronomie, Tourismus, Telekommunikation und Finanzdienstleistungen erwarten die Wirtschaftsforscher im laufenden Jahr ein „moderates Wachstum“. Für 2024 rechnen Wifo und IHS aufgrund kräftiger Reallohnzuwächse und einer Belebung der Weltwirtschaft hierzulande mit einem realen Wirtschaftswachstum von 1,2 bzw. 0,9 Prozent. Im kommenden Jahr sollte die Inflationsrate laut aktueller Herbst-Prognose auf 4,0 bzw. 4,2 Prozent sinken.
Österreichs Wirtschaft hat in den vergangenen Jahren eine Achterbahnfahrt erlebt: Nach dem coronabedingten Einbruch des realen Wirtschaftswachstums im Jahr 2020 von minus 6,6 Prozent ging es 2021 mit plus 4,2 Prozent und 2022 mit plus 4,8 Prozent wieder steil nach oben. Im zweiten Halbjahr 2022 setzte dann ein internationaler Konjunktureinbruch ein, der auch Österreichs Volkswirtschaft erfasste.
Trotz der konjunkturellen Schwächephase erweist sich der österreichische Arbeitsmarkt als robust. Die Zahl der unselbstständig aktiv Beschäftigten soll sich laut Wifo/IHS-Prognose heuer um 1,0 (Wifo) bzw. 1,1 (IHS) Prozent und im kommenden Jahr um 0,5 Prozent erhöhen. Die Arbeitslosenrate soll von 6,3 Prozent (2022) auf 6,5 Prozent (2023) und dann auf 6,6 bzw. 6,8 Prozent steigen.
Die hohe Inflation lässt auch die Steuereinnahmen sprudeln. Gleichzeitig belasten inflationsbedingt steigende Ausgaben der öffentlichen Hand für Vorleistungen, Löhne und Gehälter, Pensionen, indexierte Sozialleistungen und Zinsen den Staatshaushalt. Auch die Abgeltung der kalten Progression bei der Lohn- und Einkommensteuer sowie die Tarifsenkung bei der Körperschaftsteuer führen zu weniger Einnahmen. Das Wifo rechnet für heuer mit einem staatlichen Finanzierungssaldo in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von minus 2,4 Prozent, das IHS mit einem Budgetsaldo von minus 3,0 Prozent. Für 2024 prognostizieren die Institute ein niedrigeres Finanzierungssaldo des Staates laut Maastricht-Definition von minus 1,6 bzw. minus 1,9 Prozent.