Erdogan: "Letztes Zucken des Terrors" – Zwei Polizisten leicht verletzt – Nachrichtensperre verhängt – Nehammer verurteilt Angriff "auf das Schärfste"
Ein Bombenanschlag hat Sonntag früh die türkische Hauptstadt Ankara erschüttert. Beide beteiligten Angreifer seien getötet und zwei Polizisten leicht verletzt worden, sagte der türkische Innenminister Ali Yerlikaya. Er verurteilte den Angriff als „Terrorismus“. Hinter dem Anschlag steht angesichts eines mutmaßlichen Bekennerschreibens wohl die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach von einem „letzten Zucken des Terrors“.
Die Explosion ereignete sich nach Medienberichten auch unweit eines Eingangs zum türkischen Parlament. Einer der beiden Angreifer habe sich in die Luft gesprengt, so das Innenministerium. Den zweiten Beteiligten hätten Polizisten mit einem Schuss in den Kopf getötet. Die Angreifer seien mit ihrem Versuch gescheitert, sich Zugang zu dem Ministerium zu verschaffen.
Die Aktion sei genau nach Plan verlaufen und eine Reaktion auf das Vorgehen der Türkei in kurdischen Gebieten gewesen, zitierte die PKK-nahe Nachrichtenagentur ANF aus einem mutmaßlichen Bekennerschreiben der HPG, dem militärischen Arm der PKK.
Der Anschlag fiel mit der Eröffnung der neuen Legislaturperiode des türkischen Parlaments zusammen, und er ereignete sich in unmittelbarer Nähe zur Volksvertretung. Präsident Recep Tayyip Erdogan nannte die Angriffe in seiner Eröffnungsrede ein „letztes Zucken des Terrors“. Die „Schurken“ hätten ihre Ziele nicht erreicht und würden sie niemals erreichen, so Erdogan laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu.
Mutmaßliche Bilder des Anschlags zeigten ein Auto, das auf der Straße vor einem Eingang zum Innenministerium hält, eine Person bewegt sich auf den Eingang zu. Wenig später ereignet sich eine Explosion an einer Eingangsschranke. Medien berichteten, die Angreifer hätten das Tatfahrzeug im zentraltürkischen Kayseri gestohlen und dessen Fahrer getötet.
Die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara verhängte kurz nach dem Angriff eine Nachrichtensperre. Das Innenministerium rief dazu auf, Bilder von vor Ort aus dem Netz zu löschen. Es leitete Ermittlungen wegen Verstößen ein, wie Minister Yerlikaya bekanntgab.
Auf der Agenda der Parlamentarier steht – wenn auch ohne konkretes Datum – unter anderem die Abstimmung über den NATO-Beitritt Schwedens, den die Türkei seit Monaten blockiert. Ankara fordert von Schweden ein härteres Vorgehen gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Erdogan machte zudem kürzlich Andeutungen, eine Zustimmung des türkischen Parlaments von Kampfdrohnenlieferungen aus den USA abhängig zu machen.
Auch über die Verlängerung der Einsätze des türkischen Militärs im Irak und in Syrien soll nach Angaben des Staatssenders TRT zeitnah im Parlament abgestimmt werden. Die Türkei geht im Nordirak und in Nordsyrien regelmäßig gegen die syrische Kurdenmiliz YPG und die PKK vor. Ankara sieht beide als Terrororganisationen an. Erdogan erklärte am Sonntag zudem, seine Drohung, eines Nachts plötzlich angreifen zu können, sei weiterhin aktuell. Die hatte der Präsident in der Vergangenheit wiederholt mit Bezug auf Syrien und den Irak ausgesprochen.
In dem seit Jahrzehnten andauernden Konflikt zwischen PKK und dem türkischen Staat sind bisher Tausende Menschen getötet worden. Ankara geht in der Südosttürkei und im Nordirak regelmäßig mit Militäreinsätzen gegen die PKK vor. Diese wiederum verübt immer wieder Anschläge vor allem auf türkische Sicherheitskräfte. Es kommen aber auch Zivilisten dabei ums Leben. Die Türkei wirft der PKK vor, mit Terror die nationale Sicherheit und Einheit zu gefährden. Die PKK argumentiert, sie kämpfe unter anderem für die „Rechte der Kurden“ und gegen Unterdrückung. 2015 war ein Friedensprozess zwischen Türkei und PKK gescheitert.
In der Türkei hat es in der Vergangenheit immer wieder Anschläge gegeben. Im November 2022 explodierte auf der Istanbuler Einkaufsstraße Istiklal eine Bombe. Dabei wurden sechs Menschen getötet. Nach Angaben der türkischen Regierung hatte die Attentäterin Verbindungen zur syrischen Kurdenmiliz YPG, die die türkische Regierung als Ableger der PKK sieht. Die YPG bestritt, hinter dem Anschlag zu stecken.
Zahlreiche Politiker verurteilten den Anschlag. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte auf der Plattform X, die NATO stehe im Kampf gegen den Terrorismus in Solidarität an der Seite der Türkei. Den verletzten Polizeibeamten wünsche er eine schnelle und vollständige Genesung.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) verurteilte den Angriff am Sonntag „auf das Schärfste“: „Wir stehen der Türkei in diesen schweren Stunden bei. Den Verletzten wünsche ich eine rasche Genesung“, so der Bundeskanzler auf Twitter (X).
Auch das österreichische Außenministerium verurteilte den „abscheulichen Angriff“ und wünschte den Verletzten eine rasche Genesung. „Wir lehnen alle Formen des Terrorismus ab und sind solidarisch mit der Türkei“, erklärte das Ministerium in einer via Twitter (X) verbreiteten Stellungnahme.
Die Explosion ereignete sich fast ein Jahr nach einem Anschlag in einer belebten Fußgängerzone im Zentrum Istanbuls am 13. November 2022, bei der sechs Menschen getötet und 81 verletzt wurden. Die Türkei machte kurdische Aktivisten dafür verantwortlich. Ankara ist in den vergangenen Jahren von Anschlägen verschont geblieben. Den zuvor letzten Angriff gab es 2015, als bei Bombenexplosionen am Hauptbahnhof mehr als 100 Menschen ums Leben kamen. Dafür soll die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) verantwortlich gewesen sein.