Armenien sieht "ethnische Säuberung" in Berg-Karabach
Behörden in Berg-Karabach verkünden Auflösung der Region – Mehr als die Hälfte der Armenier bereits geflohen
Nach der angekündigten Selbstauflösung der Region Berg-Karabach hat die armenische Regierung Aserbaidschan eine „ethnische Säuberung“ vorgeworfen und eine Reaktion der internationalen Gemeinschaft gefordert. Der Exodus der Armenier aus Berg-Karabach halte an, sagte der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan am Donnerstag bei einer Kabinettssitzung. „Unsere Analyse zeigt, dass es in den nächsten Tagen keine Armenier mehr in Berg-Karabach geben wird.“
„Dies ist ein Akt der ethnischen Säuberung, vor dem wir die internationale Gemeinschaft gewarnt haben“, sagte Paschinjan. „Wenn auf die Verurteilung (durch die internationale Gemeinschaft) keine angemessenen politischen und rechtlichen Entscheidungen folgen, werden diese Verurteilungen zu Akten der Zustimmung zu den Geschehnissen.“
Zuvor hatten die Behörden in Berg-Karabach nach der Niederlage der pro-armenischen Kräfte gegen Aserbaidschan die Auflösung der Region verkündet. In einem am Donnerstag veröffentlichen Dekret ordnete die Führung der örtlichen Behörden an, zum 1. Jänner 2024 „alle staatlichen Institutionen und Organisationen“ in der Kaukasusregion aufzulösen. Berg-Karabach werde damit „aufhören zu existieren“. Mehr als die Hälfte der Armenier sind aus der Region geflohen.
Mehr als 65.000 Armenier aus Berg-Karabach seien nach Armenien gekommen, sagte eine Sprecherin des armenischen Ministerpräsidenten am Donnerstag. In Berg-Karabach, das international als Teil Aserbaidschans anerkannt wird, lebten bisher knapp 120.000 ethnische Armenier, sie stellten so gut wie die gesamte Bevölkerung dar. Für Armenien ist der Zustrom aus Berg-Karabach eine Herausforderung. In dem Land selbst leben nur 2,8 Millionen Menschen.
Seit Jahrzehnten war die Region zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien umstritten. Nach einem Krieg Anfang der 1990er Jahre hatten die Armenier die Kontrolle. Ein auf dem Boden Berg-Karabachs ausgerufener, eigener Staat wurde international nicht anerkannt. Nach einem weiteren Krieg 2020 hatte Aserbaidschan Teile Berg-Karabachs und besetzte aserbaidschanische Gebiete zurückerobert.
Nach der Militäroffensive Aserbaidschans am 19. September mussten die pro-armenischen Kämpfer von Berg-Karabach bereits einen Tag später eine Waffenstillstandsvereinbarung akzeptieren. Russland als traditionelle Schutzmacht Armeniens hatte die Aserbaidschaner bei ihrer Militäroffensive gewähren lassen. Armeniens Regierungschef Paschinjan machte Moskau deshalb bittere Vorwürfe. Russland warf Jerewan wiederum vor, mit seiner jüngsten Hinwendung zum Westen einen „großen Fehler“ zu begehen.