Salzburger Festspiele: "Jedermann" als düsteres Krisenspiel

Premiere stieß auf gemischte Reaktionen – Michael Maertens brillierte als neuer Jedermann – Buhlschaft Valerie Pachner blieb blass – Störaktion von Klimaaktivisten (Von Sonja Harter/APA)

Das Hamlet-Zitat „Die Zeit ist aus den Fugen“ steht heuer als Motto über den Salzburger Festspielen. In seiner „Jedermann“-Neuinszenierung hat Michael Sturminger die Disruption zum Programm gemacht und setzt den neuen Jedermann Michael Maertens und seine Buhlschaft Valerie Pachner in eine düster-dystopische Welt der Klimakrise, die wohl gar nicht so weit in der Zukunft liegt. Begeisterungsstürme blieben bei der wetterbedingt ins Festspielhaus verlegte Premiere am Freitag aus.

Schwarz verhüllt präsentiert sich zu Beginn das Bühnenbild, über dem zunächst Anja Plaschg alias Soap&Skin ganz oben als weiß gewandete, singend-sprechende Spielansagerin auftaucht. Als der schwarze Schleier von der Bühne gezogen wird, liegt da kopfüber auf einem schräg abfallenden Hügel Sarah Victoria Frick als Göttin, ihr mit Fotos aus aller Welt bedruckte Tellerrock liegt weit ausgebreitet da, während sie sich mehr wie ein Fisch an Land nach Luft schnappend denn sprechend über die Abkehr der Menschen beschwert. Der zu Hilfe gerufene Tod erscheint sogleich: Pachner, die später auch die Buhlschaft geben wird, beeindruckt im schwarzen Pailletten-Bodysuit samt Strahlenkranz-Kopfputz. Nach so viel Düsternis bereits im Himmel geht es endlich auf die Erde, wo es auch nicht viel besser aussieht.

Jedermanns Anwesen, das durch eine hohe Fassade die Szenerie erstmals in ein Drinnen und Draußen teilt, liegt auf einem von verbranntem Gras bedeckten Hügel, der sogleich von zwei Klimaschützern in Warnwesten beklommen wird, die aus einem Feuerlöscher orange Farbe auf die Wand sprühen, bevor sie vertrieben werden. Die aufgeschreckte Hausgesellschaft kommt aus dem Tor gerannt, um die Tat kopfschüttelnd zur Kenntnis zu nehmen. Jedermann scheint hingegen kaum Notiz von der Protestaktion zu nehmen und will sich wie gewohnt aufmachen, den Lustgarten für seine Buhlschaft zu kaufen. Doch weit kommt er nicht, trifft er doch auf seinen armen Nachbarn (Emanuel Fellmer), der in Plastiksäcke gewandet aus einem Loch im Boden kriecht und gemeinsam mit Seinesgleichen Jedermann auffordert, einen Stück vom großen Kuchen abzugeben.

Es ist die erste beklemmende Szene des zweistündigen Abends, wenn die aus dem „System“ gefallenen Gestalten Jedermann bedrohlich nahekommen, der diese wiederum mit interessierter Neugier betrachtet und sogar ein Taschentuch auf dem Boden ausbreitet, um ihnen sitzend in seinem seidenen Hausanzug zuzuhören. Dieser Jedermann scheint nicht so ganz zu begreifen, was die Leute wollen. Sein neoliberales Credo: selber schuld! Anders ergeht es auch dem Schuldknecht (Mirco Kreibich) und dessen Frau (Birte Schnöink) nicht, denen schließlich das Nachbarsvolk in einer Rangelei im wahrsten Sinn des Wortes das letzte Hemd raubt, während sich Jedermann nach seiner guten Tat, die Frau und die Kinder (auf der Bühne: auch Maertens Kinder Peter und Wilma) aufzunehmen, wieder seinem geplanten Fest zuwendet und auf seine Buhlschaft trifft.

Dieses in der Theaterliteratur hochstilisierte Treffen findet fast ausschließlich im Liegen auf dem verdorrten Hügel statt. Pachner, die in ihrem roten, bauchfreien Mieder und Schlaghosen eine ironisch neckisch-überlegene jüngere Liebhaberin gibt, aber doch blass bleibt, scheint diesen Jedermann als Lebensabschnittspartner zu betrachten – und vice versa. In einer Zeit, in der es auch für die Reichen keinen sicheren Hafen gibt, ist diese Beziehung entsprechend abgeklärt.

Und dann brach bei der Premiere die Gegenwart auch aus dem Zuschauersaal herein, als einige Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ just zu Beginn des heiteren Festes mit Zwischenrufen auf sich aufmerksam machten, bevor sie aus dem Saal eskortiert wurden und ihre Aktion auf Twitter verbreiteten. Auf der Bühne zeigte man sich wenig beeindruckt und feierte in bunt-frivolen Kostümen weiter, während Jedermanns von Maertens intensiv verkörperter Verfall beginnt und die Buhlschaft dank eines Body-Doubles nahtlos zum Tod wird.

Hier überzeugt Pachner überraschenderweise deutlicher und changiert zwischen eiserner Strenge und Anflügen von Zärtlichkeit. Diese Doppelbesetzung ist einem Hofmannsthal-Gedicht geschuldet, das Sturmingers Team entdeckte und das von Anja Plaschg intoniert wird, aber im Zuschauerraum leider kaum zu verstehen ist. Ihr Auftritt mit Glatzkopf und einem frei liegenden Fake-Babybauch als „Glaube“ ist denkbar verstörend, der Aufzug wirkt dramaturgisch allerdings willkürlich.

Während die Inszenierung selbst nach der zweistündigen Premiere nur freundlichen Applaus einheimste, war es vor allem Mirco Kreibich als im Gold-Tütü herumwirbelnder Mammon und sein Pech nicht fassen könnender Schuldknecht, der neben Maertens den meisten Jubel einfuhr. Auch die 86-jährige Nicole Heesters, die 1973 die Buhlschaft an der Seite von Curd Jürgens verkörperte und nun als Jedermanns Mutter nach Salzburg zurückkehrte, erhielt viel Applaus, wenn sie es in dieser Neuinszenierung auch nicht schaffte, ihren Sohn zur Vernunft zu bringen. Maertens kommt ihr mit jenem kindlichen Trotzverhalten entgegen, das er auch gegenüber den Armen an den Tag legt.

Weniger anfangen konnten Teile des Publikums offenbar mit der Zeichnung des Teufels, den Sarah Viktoria Frick in einer wilden Szene, in der sie sich Fight-Club-mäßig selbst zusammenschlägt, als schrulligen Zwitter gab, der es nicht lassen kann, an seinem Penis rumzufummeln. Verkleidet hatte sie sich zuvor übrigens als Bischof, um sich Jedermann nähern zu können. Vom guten Gesellen (Helmfried von Lüttichau) bis zu den herrlich schrägen Vettern (Bruno Cathomas und Fridolin Sandmeyer) findet sich schließlich niemand, der Jedermann auf seinem letzten Weg begleitet. In Sturmingers Neudeutung, die mit famos-düsteren Kompositionen von Wolfgang Mitterer unterstrichen wird, sind es all die Wegbegleiter, die sich nun scheuen, selbst Verantwortung zu übernehmen in einer Welt, die aus den Rudern gelaufen ist. Am Ende liegt die ganze Szenerie unter einem schwarzen Schleier. Hier stirbt nicht nur Jedermann, sondern die Zivilisation.

Offiziell eröffnet werden die Salzburger Festspiele am 27. Juli mit einem Festakt in der Felsenreitschule. Die Festrede hält der Quantenphysiker und Nobelpreisträger Anton Zeilinger. Das Hamlet-Zitat „Die Zeit ist aus den Fugen“ steht in diesem Jahr als Motto über dem Programm. Bis 31. August gibt es 179 Aufführungen an 43 Tagen in 15 Spielstätten sowie 34 Vorstellungen im Jugendprogramm „jung & jede*r“. Zu den Höhepunkten zählen Mozarts „Figaros Hochzeit“ und die beiden Verdi-Opern „Macbeth“ und „Falstaff“ sowie Lessings „Nathan der Weise“ und eine Bühnenfassung von Michael Hanekes Oscar-gekröntem Film „Amour“.

(S E R V I C E – Salzburger Festspiele: „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal in der Regie von Michael Sturminger. Mit u.a. Michael Maertens, Valerie Pachner, Nicole Heesters, Helmfried von Lüttichau, Mirco Kreibich, Emanuel Fellmer, Birte Schnöink, Fridolin Sandmeyer, Bruno Cathomas, Anja Plaschg und Sarah Victoria Frick. Bühne und Kostüme: Renate Martin und Andreas Donhauser. Komposition: Wolfgang Mitterer; Musikalische Leitung: Hannes Löschel. Weitere Termine: 24., 25. uns 28. Juli, 1., 5., 8., 13., 15., 18., 21., 22., 28. und 29. August https://www.salzburgerfestspiele.at, Video zur Störaktion auf Twitter: https://twitter.com/letztegenAT)

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