Harry Styles triumphierte in Wien: Das perfekte Pop-Konzert

60.000 glückliche Menschen hat Harry Styles am Samstag nach seinem Konzert im Wiener Ernst-Happel-Stadion in die Nacht entlassen. Davor absolvierte der Brite, begleitet von einer großartigen Band, ein rund zweistündiges perfektes Popkonzert – ausgelassen, laut, manchmal intimer, unterhaltsam und mit ganz viel Liebe. Es war ein Triumphzug des aktuellen Popkönigs, ganz ohne Feuerwerk und Trapezkunst, allein mit der Kraft von 20 Songs und einem Entertainer in Topform.

Den Weg ins Prateroval konnten gestern auch wenig ortskundige Menschen leicht finden, säumten doch herabgerieselte Federn von den Boas der Fans die Strecke. Dieses Accessoire gehört zum Styles-Aficionado wie die „Kutte“ zum Metal-Freak. Die letzten Meter säumten Sperrgitter, zwischen denen hart gesottene Anhänger (vermutlich in erster Linie Anhängerinnen) des 29-jährigen Sängers übernachtet haben, um beim Einlass die Ersten zu sein. Und drinnen wurde bereits bei der ordentlich aufspielenden Vorgruppe Wet Leg fest Stimmung gemacht, so dass die Begeisterung bis weit in die Leopoldstadt spürbar war.

Ein quadratischer Steg und eine riesige, gediegene Videowall – mehr physische Showelemente braucht Harry Styles nicht, schon das zeichnet ihn aus. Mit „Daydreaming“ legte er los, laut, aber trotzdem niedergekreischt, wie auch das nachfolgende „Golden“ gegen die tobende Massenhysterie ankämpfte. Aber dann zauberte Styles mit starkem Gesang und dem intensiven, etwas zurückgelehnten „Adore You“ einen Hauch von Nachtclub-Atmosphäre in den überalterten Betonbau, Schlagzeugerin Sarah Jones, sonst die ideale Taktgeberin, setzt dabei als zweite Stimme feine Nuancen.

„Unser Job ist es, euch zu unterhalten. Ich verspreche euch, wir werden unser Bestes geben“, kündigte Styles, der mit einer Handbewegung Tausende Kehlen zum Kreischen oder völlig zum Verstummen bringen kann, in seiner Begrüßung an. Er hielt Wort. „She“ kam soulig, garniert mit einem langen, feinen Solo des Gitarristen Mitch Rowland, die Ballade „Matilda“, vom „Rolling Stone“ als „herzzerreißendes Meisterstück“ gepriesen, mit Cello-Begleitung, um dann mit dem treibenden „Satellite“ nach drei Minuten Handylicht-Schwingen zum Tanzen überzuleiten.

Mit „Late Night Talking“ lieferte Styles den ersten Über-Hit-Höhepunkt, um sich anschließend selbst in spätabendlichen Gesprächen mit Fans zu üben. Das gehört zum ehemaligen One-Direction-Mitglied wie seine Hilfe bei einem „Coming Out“ und der Tanz mit der Regenbogenfahne. „Am I gay when 99 percent of men disgust me?“, war auf einem Schild einer jungen Frau zu lesen. „Um ehrlich zu sein, 99 Prozent der Männer widern mich auch an“, sagte Styles, selbst Kavalier, der Blumen ins Publikum streut, um bei „Grapejuice“ selbst mit solchen bombardiert zu werden. Melonen und Kiwis durften dagegen ausdrücklich nicht ins Stadion mitgenommen werden, zumal bei „Watermelon Sugar“ (gestern hochenergetisch) und „Kiwi“ (gestern als letzte Zugabe herrlich brachial) Obst-Wurfgefahr besteht.

Es ist die „Love On Tour“, das Motto gaben bereits vor der Show die Beatles mit „All You Need Is Love“ aus der Konserve vor – von der Menge so lautstark mitgesungen wie später Styles‘ „Treat People With Kindness“. Die Botschaften sind eindeutig und wichtig. Dass der Engländer auch noch den derzeit vermutlich besten Mainstream-Pop drauf hat, machte das Konzert zum Wohlfühlerlebnis – egal ob nun das halbakustische „Fine Line“ zum Träumen einlud oder das abschließende Hit-Feuerwerk „Sign Of The Times“ und „As It Was“ zum Ausflippen.

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