EuGH beendete Zuständigkeitsstreit im VW-Skandal

Im Skandal um manipulierte Fahrzeuge des VW-Konzerns können betroffene Autohalter, die nicht in Deutschland wohnen, aufatmen. Im Fall VW und ähnlichen Fällen ist es ausnahmsweise zulässig, Klagen im Heimatland, wo das Auto gekauft wurde, einzubringen. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag. Verbraucherschützer und Anwälte jubeln, eine zweite Klagswelle könnte kommen.

Der EuGH habe der Verzögerungstaktik von VW eine klare Absage erteilt, so der Verein für Konsumenteninformation (VKI) in einer Aussendung. Der VKI hat hierzulande an allen Landesgerichten Sammelklagen mit einem Streitwert von 60 Mio. Euro gegen VW eingebracht. Das Landesgericht Klagenfurt war sich ob der Gerichtszuständigkeit nicht sicher und rief im April 2019 den EuGH an. Nun sind die Kärntner Landesrichter wieder am Zug, sie müssen inhaltlich über die Schadenersatzklagen für 574 betroffene Autokäufer entscheiden.

„Fünf Jahre nach Bekanntwerden des Skandals ist es höchste Zeit, dass österreichische Geschädigte angemessen entschädigt werden“, so VKI-Juristin Ulrike Wolf. VW hatte Mitte September 2015 zugegeben, bei EA-189-Dieselmotoren verschiedener Marken (VW, Audi, Seat und Skoda) eine unzulässige Software eingebaut zu haben, die die Abgaswerte massiv beschönigt.

Der VKI verwies, wie auch die Arbeiterkammer (AK) und Konsumentenschutzminister Rudolf Anschober (Grüne), in deren Auftrag der VKI die Sammelklagen eingebracht hat, auf das kürzlich ergangene Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH). Das deutsche Höchstgericht verurteilte VW zur Leistung von Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. VW handelte laut BGH arglistig und aus reinem Profitstreben.

Deutschen Autokäufern hat VW daraufhin ein Vergleichsangebot gemacht; Österreicher und betroffene aus anderen Ländern sind ausgeschlossen, ihnen bleibt nur der Weg zu Gericht, wenn sie Geld sehen und/oder ihr manipuliertes Auto zurückgeben wollen. Das Ende Mai ergangene BGH-Urteil gibt auch Österreichern Rückenwind, da die Rechtslage hierzulande eine ähnliche sei und auch hierzulande ein überhöhter Kaufpreis bezahlt worden sei, sind Verbraucheranwälte überzeugt.

Nach Ansicht des VKI müssen betroffene Autofahrer nunmehr keine Verjährung ihrer Ansprüche fürchten, da die „qualifizierte Schädigung“ eine 30-jährige Verjährung auslöse. Auch für jene rund 300.000 weiteren Betroffenen, die bisher nicht zu Gericht gegangen sind, gibt es Hoffnung. Anwalt Michael Poduschka, der den VKI in neun der 16 Sammelverfahren, u. a. in Klagenfurt, vertritt, ist ebenfalls dieser Rechtsmeinung: Auf Österreich übersetzt bedeute das BGH-Urteil: „Es war Betrug“, und dieser verjährt erst nach 30 Jahren.

Poduschka kann sich vorstellen, dass es in Österreich zu einer zweiten Klagswelle gegen VW kommt: Mehr und mehr Autofahrer beklagten nach dem zwischen 2016 und 2018 aufgespielten Software-Update, mit dem VW den Schaden beheben wollte, dass nun etwas kaputt sei. Dies ausgerechnet, nachdem die von VW eingeräumte Kulanzfrist („vertrauensbildende Maßnahme“) von zwei Jahren ausgelaufen sei. „Die Leute sind wütend“, so der oberösterreichische Anwalt zur APA, der neben den neun VKI-Sammelklagen rund 650 Einzelklagen gegen die Volkswagen AG und/oder VW-Händler eingebracht hat, heuer schon 275.

Es seien oftmals kostspielige Teile bei der Abgasrückführung, die den Geist aufgäben und die sich die Autohalter nun selbst zahlen müssten, so Poduschka. „Es spricht alles dafür, dass das mit dem Software-Update in Zusammenhang steht.“ Die Betroffenen können dem Anwalt zufolge entweder auf Minderwert oder auf Rückabwicklung (Fahrzeug zurückgeben und dafür Geld bekommen) klagen. Bei der Rückabwicklung darf aber der VW-Konzern für die gefahrenen Kilometer etwas abziehen, wie der BGH entschieden hat. Für ältere Fahrzeuge zahlt sich eine Rückabwicklungsklage daher womöglich nicht mehr aus.

Poduschka berichtet, dass sich nun vermehrt auch Geschäftskunden von VW an ihn wendeten, nicht nur Private. Selbst großen Kunden, die zig manipulierte VW-Autos in der Firmenflotte haben, sei der Konzern in Österreich bisher nicht mit einer anderen außergerichtlichen Lösung entgegengekommen. „Wolfsburg sagt, es gibt keinen Vergleich ohne Klage.“

Der Anwalt findet das, wie die AK, unerhört. „VW soll im Sinne der Geschädigten rasch einlenken und ähnlich wie in Deutschland endlich in Vergleichsgespräche eintreten“, so Arbeiterkammer-Konsumentenschützerin Gabriele Zgubic in einer Aussendung.

Ob Österreicher nun in Deutschland oder in ihrer Heimat bessere Chancen haben, entschädigt zu werden, darüber sind die Juristen unterschiedlicher Meinung. Für Poduschka ist nach dem EuGH-Urteil (Rechtssache C-343/19) klar, dass die Chancen in Österreich zumindest genauso gut, wenn nicht besser, sind. Er hielte es für „widersinnig“, nach Deutschland, dem Sitz der Beklagten, zu gehen. Der EuGH habe in der Coronakrise „Gott sei Dank einen Beitrag zur Regionalität geleistet“, so der Rechtsvertreter.

Anders sieht das der deutsche Anwalt Claus Goldenstein, der den Fall vor den BGH gebracht hat und bereits einige Österreicher vertritt. „Die grundlegende Frage, ob Volkswagen seine Kunden vorsätzlich und sittenwidrig getäuscht hat, bleibt in Österreich unbeantwortet.“ Hierzulande gebe es im Gegensatz zu Deutschland ja noch keinen höchstgerichtlichen Entscheid. Auch der Verbraucherschutzverein (VSV) von Peter Kolba warb erneut für Klagen in Deutschland.

Nach Ansicht des VKI besteht der Schaden für die Betroffenen darin, dass sie, wenn sie um die Manipulation gewusst hätten, das Fahrzeug entweder gar nicht oder nur zu einem um mindestens 30 Prozent geringeren Preis gekauft hätten. Da die Fahrzeuge von Beginn an einen Mangel gehabt hätten, seien ihr Marktwert und damit der Kaufpreis deutlich niedriger als der tatsächlich gezahlte Preis. Der Unterschiedsbetrag sei als Schadenersatz zu leisten.

VW „vertraut in den weiteren Verfahren auf die Gerichte in Österreich“, wie die österreichischen Anwälte des Konzerns mitteilten. In Deutschland sagte VW, die Zuständigkeitsfrage habe sich außerhalb Österreichs kaum gestellt.

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