Kurz warnt in Klimadebatte vor Comeback des Kollektivismus

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat in der Klimadebatte vor einem Comeback „gescheiterter“ kollektivistischer Ideen gewarnt, die nur „Leid, Hunger und unglaubliches Elend“ gebracht hätten. In einer Rede beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos sprach sich Kurz am Freitag stattdessen für eine Verbindung von wirtschaftsliberaler Politik mit Klimaschutz aus, wobei er auf Innovationen setzt.

„Wir müssen alle aufpassen, dass der Klimaschutz nicht missbraucht wird, um für alte kollektivistische Ideen zu werben, die immer egal wo auf der Welt gescheitert sind, und nur eines gebracht haben, nämlich Leid, Hunger und unglaubliches Elend“, sagte Kurz in einem Gespräch mit Ex-Nestle-Chef Peter Brabeck Letmathe in einem der Diskussionssäle des hermetisch abgeriegelten Davoser Konferenzzentrum. Zeitgleich führte die Klimaaktivistin Greta Thunberg, die am Dienstag der WEF-Elite die Leviten gelesen hatte, eine Protestveranstaltung durch Davos.

Kritisch äußerte sich Kurz auch zur Idee einer „Postwachstumsgesellschaft“, in der Zufriedenheit mehr zählen solle als Wirtschaftswachstum. „Zufriedenheit zahlt keine Pensionen“, sagte Kurz. Wenn es kein Wachstum gebe und Europa nicht wettbewerbsfähig bleibe, „dann gute Nacht Sozialstaat und gute Nacht europäische Errungenschaften“.

Dabei hatte der ÖVP-Chef zu Beginn seiner Rede optimistische Töne angeschlagen und eine Lanze für den Fortschrittsglauben gebrochen. Dass sich die Welt in den vergangenen Jahrzehnten „in allen Bereichen zum Guten verändert“ habe, die Lebenserwartung gestiegen und die Kindersterblichkeit massiv zurückgegangen sei, sei dem Fortschritt und der Innovation zu verdanken. Die Waldbrände, Überschwemmungen und Naturkatastrophen zeigten aber „sehr deutlich, wo die Herausforderungen liegen“. Der „Schutz der Schöpfung“ sei „etwas Zentrales“, denn: „Es nutzt der Fortschritt nichts, wenn wir gleichzeitig unseren Planeten zerstören.“

Allerdings machte Kurz klar, dass in der Klimapolitik auf die Unternehmen Rücksicht genommen werden solle. „Wir werden das Klima nicht retten, indem wir die europäische Industrie und Wirtschaft bekämpfen und schädigen“, warnte der Kanzler vor einer Verlagerung von Arbeitsplätzen in Weltregionen, wo dann die Produktion unter schlechteren Umweltstandards stattfinde.

Kurz sprach sich auch dagegen aus, „von heute auf morgen“ das Verhalten der Menschen ändern zu wollen. Es werde weiterhin Menschen geben, die das Auto für den Weg zur Arbeit benötigen und auch Menschen, „die fliegen müssen oder wollen“. Doch wie man das tue, solle sich verändern und „deutlich nachhaltiger werden“, sagte er in Anspielung auf E-Mobilität.

In Österreich habe sich die neue Bundesregierung „auf Druck der Grünen“ ein „ambitioniertes“ Klimaprogramm vorgenommen, sagte Kurz unter Verweis auf die Ziele für das Jahr 2030 (100 Prozent erneuerbare Energie) und 2040 (vollkommene Klimaneutralität). Österreich wolle sich auch auf europäischer Ebene einbringen, lobte der Kanzler den Green Deal von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Ich halte es für den absolut richtigen Weg, dass wir Kostenwahrheit für CO2-Emissionen schaffen“, sagte er. Dies müsse aber „verbunden sein mit CO2-Zöllen“, damit nicht die europäische Wirtschaft geschädigt und Billigprodukte aus Drittstaaten importiert werden.

Der Kanzler sprach sich auch für eine Reform der europäischen Wettbewerbsregeln aus, um Unternehmen im globalen Konkurrenzkampf zu stärken. Ähnlich wie die USA bei der Digitalisierung vorne seien, könnten europäische Unternehmen bei der Energietechnik oder Innovationen zur CO2-Absorption eine globale Vorreiterrolle übernehmen.

Kurz bekannte sich in seiner Rede auch zum Freihandel und äußerte die Hoffnung, „dass es gelingt, die Verhandlungen mit den USA zeitnah positiv zu beenden“. Skepsis ließ er aber – in offenkundiger Anspielung auf das Mercosur-Abkommen – bei der Liberalisierung von Agrarhandel anklingen. „Trotz der Vorteile globaler Wirtschaft muss nicht jedes Konsumgut über die halbe Welt transportiert werden“, sagte er. Gerade Lebensmittel können auch regional und saisonal konsumiert werden.

Der Kanzler bekräftigte seine allgemeine Kritik an den europäischen Staaten, die „manchmal etwas gesättigt wirken“ und nicht so „hungrig nach Erfolg“ seien wie andere Weltregionen. In Osteuropa sei dieser Hunger noch stärker spürbar, so Kurz, der neuerlich auch sein Missfallen über die Behandlung der neuen EU-Mitglieder durch die westeuropäischen Staaten zum Ausdruck brachte. Österreich könne „einen Beitrag leisten“, diese Spannungen abzubauen.

Kurz hatte am Vormittag den selbst ernannten und unter anderem von Österreich anerkannten venezolanischen Interimspräsidenten Juan Guaidó, die Firmenchefs Peter Voser (ABB) und Kevin Sneader (McKinsey) sowie WEF-Gründer Klaus Schwab getroffen. Am Nachmittag standen Gespräche mit Novartis-Chef Vasant Narasimhan, dem Gründer der Datenanalysefirma Palantir, Alex Karp, sowie den Chefinnen von EZB und IWF, Christine Lagarde und Kristalina Georgieva, auf dem Programm.

Er nutze Davos für „Termine mit Wirtschaftsverantwortlichen, die man sonst nicht trifft“, sagte Kurz vor seiner Abreise. Auf dem Weg nach Davos war er am Donnerstagnachmittag in Zürich mit Apple-Chef Tim Cook zusammengetroffen. Danach gab er bekannt, dass Apple an einem von Intel übernommenen Standort für die Produktion von Handy-Modems 300 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen werde.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.