Viennale-Programm mit neuen Schwerpunkten und alten Legenden

Das Festivalvorfieber ist am Dienstagabend um einige Grad gestiegen: Viennale-Chefin Eva Sangiorgi hat im Stadtkino das detaillierte Programm des 57. Wiener Filmfestivals enthüllt, das am 24. Oktober offiziell startet. Bei der zweiten Festspielausgabe unter ihrer Führung hat die 41-jährige Italienerin einige dezidierte Schwerpunkte gesetzt, wie sie in charmantem, neu gewonnenem Deutsch erläuterte.

Die Unterscheidung in Spiel- und Dokumentarfilm unter den gut 300 Arbeiten aus 40 Ländern bleibt wie schon 2018 aufgeben, stattdessen gibt es andere Kriterien der Selektion. Der Jugend sei etwa ein gewisser Schwerpunkt gewidmet, so Sangiorgi – von Ulrich Köhlers und Henner Wincklers „Das freiwillige Jahr“ über „Zombie Child“ von Bertrand Bonello bis zu „Une fille facile“ von Rebecca Zlotowski. Auch die Rolle der Frau in der Gesellschaft werde besonders beleuchtet, was vom russischen Historienporträt „Dylda“ von Kantemir Balagov bis zu Sabine Derflingers Politikerinnendoku „Die Dohnal“ reicht. Und nicht zuletzt spiegle sich die Flucht in der einen oder anderen Weise in vielen Filmen wider, so etwa in Mati Diops gefeiertem Debüt „Atlantique“, so Sangiorgi.

Den Auftakt feiert man am 24. Oktober im Gartenbaukino mit der traditionellen Gala, in deren Zentrum heuer die Projektion des Cannes-Historienfilms „Portrait de la jeune fille en feu“ („Porträt einer jungen Frau in Flammen“) von Celine Sciamma steht, für die Hauptdarstellerin Adele Haenel anreist. Pietro Marcellos „Martin Eden“ – zuvor im Wettbewerb von Venedig – erzählt hingegen 100 Jahre italienischer Geschichte und wird den Abschlussfilm des heurigen Jahres am 6. November darstellen.

Zwischen diesen beiden Daten sind ansonsten etwa die neuen Arbeiten von Marco Bellocchio („Il Traditore“), den Gebrüdern Dardenne („Le Jeune Ahmed“) oder Elia Suleiman („It Must Be Heaven“), aber auch Nadav Lapids Festivalerfolg „Synonymes“ oder Agnes Vardas letzter Film „Varda par Agnes“ zu sehen. Beim Blick auf das österreichische Filmschaffen sticht neben Jessica Hausners Cannes-Schauspielgewinner „Little Joe“ etwa auch Anja Salomonowitz‘ „Dieser Film ist ein Geschenk“ über den Künstler Daniel Spoerri heraus.

Beibehalten im Viennale-Reigen wird das Festivalzentrum im Museumsquartier als Anlaufpunkt der Festivalmeute für Kritikerrunden, Diskussionen mit Filmemachern oder schlicht Partys. Neu ist hingegen die Nebenschiene „Monografien“ für einzelne Regisseure. Hier ehrt man heuer die deutsche Filmemacherin Angela Schanelec und ihren französischen Kollegen Pierre Creton. Der Tunesier Ala Eddine Slim wird als Kinowerker an den Rändern gefeiert, und das Quartett komplettiert man mit der portugiesischen Regisseurin Silvia das Fadas.

Die Sparte „Kinematografien“ ist hingegen auf Themen anstelle von Personen fokussiert – zugleich findet hier auch eine Huldigung der Regielegende Peter Brook Platz. Der 94-Jährige wird zwischen 2. und 4. November mit Klassikern wie „Lord of the Flies“ oder der dreistündigen Kinofassung der „Mahabharata“ gewürdigt und kommt dafür persönlich nach Wien. Unter dem Titel „Brasilien entflammt!“ gibt man weiters einen Überblick über das Schaffen des südamerikanischen Landes. Und schließlich widmen sich die „Historiografien“ der Thematik des Kinos als solches und zeigen Werke, die erst kürzlich in Archiven gefunden wurden. Die traditionelle Retrospektive in Zusammenarbeit mit dem Filmmuseum widmet sich heuer mit rund fünfzig Filmwerken unter dem Titel „O Partigiano!“ dem Partisanenfilm aus verschiedenen Ländern. Im Filmarchiv hingegen entdeckt man die Pionierin Louise Kolm-Fleck mit „Der weibliche Blick“ wieder.

Speziell der „Blick auf randständige Lebensbedingungen“ sei für sie interessant, unterstrich Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) in ihren Grußworten. Dafür habe sie sich heuer eigens freigenommen. Kaup-Hasler erinnerte zugleich an den vor zwei Wochen verstorbenen, langjährigen Viennale-Präsidenten Eric Pleskow, dem ihr großer Dank gebühre: „Er war ein Spiritus Rector, der uns mit seinem Humor und seinem Geist begleiten wird durch das heurige Programm.“ Zugleich freue sie sich, dass Eva Sangiorgi der Viennale noch viele Jahre erhalten bleibe, nachdem man Mitte September bekanntgegeben hatte, den Vertrag der Festivalchefin bereits nach der ersten Ausgabe bis 2026 zu verlängern. „Ich möchte, dass sie die Zeit wirklich intensiv nutzt, Deutschkurse zu besuchen“, so Kaup-Hasler augenzwinkernd in Richtung der Festivalchefin.

(S E R V I C E – www.viennale.at)

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