Draghi zieht zum Ende seiner Amtszeit noch mal alle Register

Der scheidende EZB-Präsident Mario Draghi greift wegen der eingetrübten Konjunkturaussichten noch einmal ganz tief in den Instrumentenkasten. Die EZB brachte am Donnerstag ein Paket zur Stützung der Wirtschaft auf den Weg, das eine weitere Zinssenkung, erneute Anleihenkäufe und Erleichterungen für Banken enthält. Das erste Mal nahm der neue OeNB-Chef Robert Holzmann an der Ratssitzung teil.

Zugleich forderte Draghi von Staaten wie Deutschland mehr Einsatz gegen die Konjunkturschwäche. Mit den Beschlüssen rückt ein Ende der teilweise scharf kritisierten ultralockeren Geldpolitik in weite Ferne, was der neuen EZB-Chefin Christine Lagarde die Marschrichtung vorgibt. Vor allem aus der Finanzbranche fiel die Kritik hart aus. Auch US-Präsident Donald Trump meldete sich zu Wort und warf der EZB vor, der US-Wirtschaft zu schaden.

Draghi verteidigte die Maßnahmen. „Die länger anhaltende Abschwächung der Konjunktur in der Eurozone ist sogar mehr ausgeprägt als erwartet“, sagte er. „Wir glauben weiterhin, dass die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in der Eurozone niedrig ist, aber sie steigt.“ Die Inflationsrate liege zudem anhaltend unter dem Notenbankziel. Die EZB-Ökonomen senkten zur Zinssitzung auch ihre Wachstums- und Inflationsprognosen für dieses und das nächste Jahr. Die EZB strebt knapp zwei Prozent Inflation als Idealwert für die Wirtschaft an. Sie verfehlt dieses Ziel bereits seit Jahren. Draghi sieht vor allem die Staaten ohne Haushaltsnöte bei der Bekämpfung der Konjunkturschwäche gefordert. „Es ist höchste Zeit, dass die Fiskalpolitik Verantwortung übernimmt.“ Darüber herrsche im EZB-Rat volle Einigkeit. Länder mit Handlungsspielraum im Haushalt seien gefordert, „wirksam und rechtzeitig“ zu handeln.

Der seit Anfang September im Amt befindliche Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) und EZB-Rat, Robert Holzmann, sieht eine Ausweitung der expansiven Geldpolitik kritisch. Er wolle im EZB-Rat „eine etwas kritischere Haltung gegenüber den Vorschlägen einer weiteren monetären Vertiefung“ einnehmen, sagte Holzmann Anfang September. Er werde mit seinen EZB-Kollegen darüber diskutieren, kündigte der Notenbanker damals an.

Um gegenzusteuern, will die EZB die umstrittenen Anleihenkäufe wieder aufnehmen. Bis zur Einstellung des Programms Ende 2018 hatte die EZB Papiere im Volumen von 2,6 Billionen Euro gekauft. Ab November sollen pro Monat neue Zukäufe im Umfang von 20 Mrd. Euro hinzukommen. Die Käufe sollen erst dann gestoppt werden, wenn die EZB kurz vor einer Zinserhöhung steht. Die Währungshüter hoben auch die Strafzinsen für Banken an, wenn diese überschüssige Gelder bei der Notenbank parken. Der sogenannte Einlagensatz wurde auf minus 0,5 Prozent von bisher minus 0,4 Prozent gesenkt. Ein Minuszeichen beim Einlagenzins bedeutet, dass die Institute Strafzinsen zahlen müssen, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken. Der Satz ist bereits seit 2014 negativ.

Um die Folgen für die Institute abzumildern, kündigte die EZB eine Staffelung der Strafzinsen an. Geplant ist laut EZB ein zweistufiges System. Ein Teil der Überschussliquidität der Banken soll so ähnlich wie in der Schweiz und in Japan von den Strafzinsen ausgenommen werden. Dennoch kam Kritik von den Banken: „Auch wenn der jetzt eingeführte Staffelzins eine gewisse Erleichterung bringt, werden die europäischen Banken weiterhin jedes Jahr Milliarden an die EZB als eine Art Strafsteuer zahlen müssen“, sagte Hans-Walter Peters, Präsident des deutschen Bankenverbandes BdB.“ Auch der deutsche Sparkassenpräsident Helmut Schleweis kritisierte: „Die noch expansivere Geldpolitik bringt mehr Schaden als Nutzen.“ Die negativen Auswirkungen dieser Politik würden mittlerweile überwiegen. Verbraucherschützer befürchten, dass Banken den erhöhten Strafzins zum Anlass nehmen, Sparer zur Kasse zu bitten.

Die Euro-Wächter passten zudem ihren Ausblick an. Nunmehr wollen sie ihre Schlüsselzinsen solange auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau halten, bis das Inflationsziel von knapp zwei Prozent in Reichweite gelangt ist. Bisher stellten sie bis Mitte 2020 stabile oder niedrigere Schlüsselsätze in Aussicht. Die EZB hatte letztmalig 2011 ihre Zinsen angehoben.

Die Börsen reagierten deutlich auf die Beschlüsse. Der Euro fiel unter die Marke von 1,10 Dollar und näherte sich damit dem 28-Monats-Tief Anfang des Monats. Der DAX legte zeitweise um 0,8 Prozent zu auf 12.448 Punkte und erreichte damit den höchsten Stand seit Ende Juli. Der Index für die Banken der Eurozone sank dagegen um knapp ein Prozent. Die Aktien der Deutschen Bank waren zeitweise mit einem Abschlag von 1,5 Prozent Schlusslicht im DAX. „Das ist Mario Draghis Abschiedsgeschenk an die Märkte“, erklärte LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert.

US-Präsident Trump kritisierte dagegen auf Twitter, die EZB habe erfolgreich den Euro gegenüber dem „sehr starken Dollar“ abgewertet. Dies schade den US-Exporteuren. Draghi ließ den Vorwurf nicht auf sich sitzen. „Wir haben ein Mandat: Wir wollen Preisstabilität liefern“, sagte er. „Wir zielen nicht auf Wechselkurse ab. Punkt.“

Für Draghi war dies die vorletzte Zinssitzung. Ende Oktober läuft seine Amtszeit nach acht Jahren ab. Er dürfte dann der erste EZB-Präsident sein, in dessen Amtszeit die Notenbank kein einziges Mal ihre Zinsen angehoben hat. Die ehemalige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) und frühere französische Finanzministerin Lagarde soll ab November das Ruder bei der Notenbank übernehmen.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.