Ratlosigkeit in Venezuela: Grenze dicht, keine Kompromisse

Venezuelas Militär hat am Wochenende weiter die Forderung des selbsternannten venezolanischen Interimspräsidenten Juan Guaidó ignoriert, Hilfslieferungen ins Land zu lassen. Soldaten blockieren seit Tagen eine Grenzbrücke zur kolumbianischen Stadt Cúctuca. Dort warteten weiter zehn Lastwagen mit etwa 100 Tonnen Hilfsgütern für notleidende Menschen in Venezuela auf die Fahrt über die Grenze.

Guaidó sagte am Sonntag, es gehe darum, Leben in Venezuela zu retten. Die ausländische Hilfe sei von der venezolanischen Zivilgesellschaft gewollt, betonte Guaidó nach einem Gottesdienst in der Hauptstadt Caracas.Er machte den Menschen Hoffnungen, dass es in den kommenden Tagen Fortschritte geben werde bei den Bemühungen, die Hilfsgüter nach Venezuela zu bringen. Er verfügt jedoch über keine Regierungsgewalt. Die liegt bei Staatschef Nicolás Maduro, der die Hilfslieferungen als demütigende Almosen und als mögliches Einfallstor für eine Militärintervention des Auslands ablehnt. Statt „vergiftete“ Hilfspakete zu schicken, sollten die USA Sanktionen gegen sein Land aufheben. Guaidó bezeichnet er als „Marionette“ der USA.

Sowohl Anhänger Maduors wie auch Guaidós gingen am Wochenende wieder auf die Straßen. Offizielle Angaben zu Teilnehmerzahlen auf beiden Seiten gab es zunächst nicht. Maduro verbreitete am Sonntag Bilderseiner Anhänger in der Stadt Barcelona im Bundesstaat Anzoátegui auf Twitter. Auch Guaidós Unterstützer demonstrierten unter anderem in der Hauptstadt Caracas.

Obwohl Venezuela über die größten bekannten Erdölreserven weltweit verfügt, fehlen inzwischen Lebensmittel und Medikamente. Hyperinflation macht Bargeld faktisch wertlos. Etwa drei Millionen Menschen sind bereits ins Ausland geflüchtet. Regierungskritiker werden inhaftiert, Korruption ist weit verbreitet, Gewaltkriminalität grassiert. Die krassen Unterschiede zwischen Arm und Reich destabilisieren Staat und Gesellschaft zusätzlich.

Parlamentspräsident Guaidó hatte sich am 23. Jänner selbst zum Interimspräsidenten ausgerufen. Zur Begründung sagte er, die Wahl Maduros im Juni vergangenen Jahres sei undemokratisch gewesen. Dutzende Staaten weltweit, darunter die USA sowie viele Länder Lateinamerikas und der EU, darunter Deutschland, erkannten ihn inzwischen an. Maduro kann sich auf Russland, China und die Türkei sowie die lateinamerikanischen Länder Kuba, Bolivien und Nicaragua stützen. Maduro weigert sich, eine Neuwahl des Präsidenten auszurufen. Seine Amtszeit ende erste 2025, befand er.

Das von der Opposition dominierte, aber von Maduro weitgehend entmachtete Parlament wandte sich am Samstag via Twitter an die Bevölkerung, um über die geplante Verteilung von Hilfsgütern zu informieren. Zunächst sollten vor allem unterernährte Kinder, Schwangere und Alte Hilfen erhalten. Das Parlament betonte: „Es ist keine ausländische Militärintervention, es ist echte Hilfe.“ Es handele sich nicht um Almosen, so das Parlament. Weitere Lieferungen sollen im benachbarten Brasilien sowie auf einer Karibikinsel zum Transport in das südamerikanische Krisenland bereitgestellt werden.

Das Militär steckt angesichts der Not der Bevölkerung und des internationalen Drucks in einem Dilemma. Stoppen sie weiterhin die Hilfslieferungen, könnten sie weiter an Rückhalt in der Bevölkerung verlieren. Lassen sie die Güter aber passieren, käme das einer Meuterei gegen die Regierung Maduro gleich. Die Militärführung ist zudem in den Staatsapparat eingebunden, immer wieder werden Vorwürfe über Korruption, illegale Machenschaften und Schmuggel laut.

Die Zuspitzung des Konflikts in Venezuela hat auch Auswirkungen auf kirchliche Einrichtungen. Möglicherweise könnte die Regierung Soldaten in der Benediktinerabtei Güigüe im Westen des Landes stationieren, sagte der Abtpräses der Benediktiner-Erzabtei im oberbayerischen Sankt Ottilien, Jeremias Schröder, am Sonntag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Schon vor Weihnachten habe sie angekündigt, ein großes Militärkontingent in das strategisch günstig auf einer Kuppe gelegene Kloster zu verlegen. „Dazu ist es nicht gekommen, bisher waren bloß einzelne Soldaten da. Aber der Plan scheint noch nicht aufgegeben.“

„Direkt zu Guaido habe ich von unseren Mitbrüdern noch keine Stellungnahme gehört“, erklärte Schröder. Die einheimischen Mönche machten sich diesbezüglich aber „keine großen Hoffnungen“, führte er aus. „Die Opposition hat in der Vergangenheit nie den Eindruck erweckt, dass sie das Land besser führen könnte. Ihre Vertreter kommen zumeist aus dem Milieu der alten Oligarchie, das in der Bevölkerung nicht gerade Vertrauen genießt.“

Schröder ergänzte, die Situation der Bevölkerung sei schlimm. „In der von Güigüe aus nächstgrößeren Stadt, Valencia, hat es bei Ausschreitungen Tote gegeben. Schon seit Jahren leiden die Venezolaner unter enormen Preissteigerungen und einer Verknappung von Nahrungsmitteln und Medikamenten.“ Zu einem möglichen Ausgang des Konflikts meinte der Benediktiner: „Es wird wohl zu einem Regimewechsel kommen müssen. Ich denke, das Militär – dort traditionell ein Machtfaktor – wird es dazu kommen lassen. Die Regierung Maduro jedenfalls kann Venezuelas Probleme nicht mehr bewältigen.“

Die Benediktinerabtei San Jose de Güigüe befindet sich im Nordwesten Venezuelas. Das Kloster wurde von Missionsbenediktinern aus Sankt Ottilien 1923 in der rund 150 Kilometer entfernten Hauptstadt Caracas gegründet und zog 1990 nach Güigüe um. Heute leben dort neun Ordensmänner.

(APA/ag.)

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