Guaidó will Militär in Venezuela auf seine Seite ziehen

Nach der Anerkennung durch viele EU-Länder wird die humanitäre Hilfe für Venezuela zu der ersten Bewährungsprobe für den selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaidó. Gelingt es ihm, die Lieferungen in das notleidende Land zu bringen, dürfte ihm das viel Ansehen bei der Bevölkerung verschaffen. Scheitert er allerdings, könnte seine Erfolgswelle schnell wieder abebben.

Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge verlautete am Dienstag aus US-Regierungskreisen, dass US-Hilfsgüter bereits zur kolumbianischen Grenze zu Venezuela gebracht und dort gelagert würden. Um Lebensmittel und Medikamente in den Krisenstaat zu schaffen, braucht Guaidó allerdings die Unterstützung der Streitkräfte, die die Grenzen kontrollieren und deren Führung hinter Staatschef Nicolás Maduro steht. Dieser lehnt Hilfe aus dem Ausland ab.

„Alles ist bereit. Hier die Frage an die Militärs: Soldat, wirst du deiner Familie die humanitäre Hilfe verweigern? Einmal mehr appelliere ich an euer Gewissen. Diese Hilfe ist dazu da, Leben zu retten“, umwarb Guaidó die Soldaten. Der Politiker der oppositionellen Partei Voluntad Popular (VP, zu Deutsch: Volkswille) sagte ihnen Straffreiheit zu, wenn sie bei der Wiederherstellung der demokratischen Ordnung helfen. „In wenigen Tagen habt ihr die Möglichkeit zu entscheiden, ob ihr auf der Seite von jemandem stehen wollt, um den es immer einsamer wird, oder auf der Seite von Hunderttausenden Venezolanern, die Lebensmittel und Medikamente brauchen“, so Guaidó.

Zugleich kündigte die EU-Kommission am Dienstag an, fünf Millionen Euro für humanitäre Hilfe im Land zur Verfügung. Das Geld solle unter anderem der Versorgung mit Lebensmitteln und medizinischer Hilfe dienen, sagte der zuständige EU-Kommissar Christos Stylianides. 2018 habe die EU insgesamt 34 Millionen Euro für Venezuela zur Verfügung gestellt. Zudem plane die EU-Kommission, in Caracas ein Büro für humanitäre Hilfe zu eröffnen.

Die Venezolanische Bischofskonferenz forderte laut Kathpress die Maduro-Regierung am Montag auf, die notwendigen Genehmigungen für die Hilfslieferungen auszustellen. Die Bischöfe Argentiniens stellten sich indes hinter die neutrale Haltung von Papst Franziskus zum Machtkampf in Venezuela. Der Vorsitzende der Argentinischen Bischofskonferenz, Bischof Oscar Ojea von San Isidro, sagte, die Diplomatie des Vatikans sei darauf ausgerichtet, für einen Dialog zur Verfügung zu stehen.

Der Pontifex hatte am 28. Jänner alle Beteiligten um eine „gerechte und friedliche Lösung“ gebeten. Er selbst wolle sich in dem anhaltenden Konflikt nicht auf die Seite einer Partei schlagen, teilte er mit. Maduro hatte am Montag bekanntgegeben, den Papst erneut um Unterstützung ersucht zu haben.

Im Machtkampf in Venezuela hatte sich der 35-jährige Abgeordnete Guaidó vor knapp zwei Wochen selbst zum Übergangspräsidenten erklärt und Maduro damit offen herausgefordert. Die USA, viele lateinamerikanische Staaten und zahlreiche EU-Länder stellten sich bereits hinter Guaidó. Maduro hingegen wird von Russland, China, dem Iran, der Türkei sowie Kuba, Nicaragua und Bolivien gestützt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte die Europäische Union für ihre Unterstützung Guaidós. Nun habe sich gezeigt, was die EU wirklich sei. „Einerseits sprecht ihr ständig von Demokratie und von Wahlen, aber dann stürzt ihr mit Gewalt und List eine Regierung“, sagte er am Dienstag während einer Rede in Ankara. „Wir sind strikt gegen diese imperialistischen Strukturen und können sie auf keinen Fall akzeptieren.“

Ohne seinen Namen zu nennen, wandte Erdogan sich offenbar auch an US-Präsident Donald Trump. „Ist Venezuela etwa dein Staat? Wie kann es sein, dass du einen durch Wahlen an die Macht gekommenen Menschen aufforderst, zu gehen?“, fragte er. „Und wie kannst du jemandem, der nicht einmal zur Wahl angetreten ist, die Führung des Staates überlassen? Wart ihr nicht Demokraten? Was soll das?“

Auch Russland wetterte gegen die internationale Unterstützung für Guaidó. „Wenn sie einfach aus dem Ausland erklären, dass es jetzt einen neuen amtierenden Präsidenten in Venezuela gibt, das übersteigt jede Vorstellung“, sagte Außenminister Sergej Lawrow am Dienstag vor Studenten der Universität Duschanbe in der Hauptstadt Tadschikistans. Das Prinzip, sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates einzumischen, sei eklatant verletzt worden.

Maduro fürchtet eine Militärintervention gegen seine sozialistische Regierung und schwört die Streitkräfte seit Tagen auf die Verteidigung des Landes ein. Er kritisierte auch die EU-Staaten, die sich hinter Guaidó gestellt haben, und US-Präsident Trump, der einen Militäreinsatz in Venezuela erneut nicht ausgeschlossen hatte.

Trump rede darüber wie über einen „Urlaub in Miami Beach“, sagte Maduro. „Das ist ein Irrsinn, Herr Donald Trump“, fügte er hinzu. Des Weiteren wies er einen Aufruf der 13 Länder aus Lateinamerika und der Karibik sowie Kanada umfassenden Lima-Gruppe zu einem friedlichen Regierungswechsel in seinem Land am Montag als „widerlich und lächerlich“ zurück.

Venezuela steckt in einer schweren Wirtschafts- und Versorgungskrise, für die neben Misswirtschaft manche Beobachter auch die gegen das Land verhängten internationalen Sanktionen verantwortlich gemacht werden. Wegen fehlender Devisen kann der einst reiche Staat kaum noch Lebensmittel, Medikamente und Dinge des täglichen Bedarfs importieren. Viele Menschen hungern und rund drei Millionen Venezolaner sind vor dem Elend in ihrer Heimat bereits ins Ausland geflohen.

Für kommende Woche ist in Washington eine internationale Konferenz zu der humanitären Hilfe für Venezuela geplant. Die USA, Kanada und Deutschland sagten bereits Soforthilfen in Millionenhöhe zu. Die Lieferungen sollen neben Kolumbien auch von Brasilien aus ins Land gelangen.

„Die wirtschaftliche und humanitäre Krise in Venezuela erfordert breite Hilfsbemühungen durch die internationale Gemeinschaft“, schrieb der stellvertretende Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), David Lipton, zuletzt auf Twitter. „Wir sehen einen perfekten Sturm aus Lebensmittelmangel, Hyperinflation, Verlust von Humankapital und einem komplexen Schuldenproblem.“

Indes bestätigte Papst Franziskus den Eingang eines Briefes von Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro. Er habe diesen aber noch nicht gelesen, sagte der Pontifex am Dienstag auf dem Rückflug von Abu Dhabi nach Rom. „Ich werde diesen Brief anschauen und dann sehen, was man machen kann.“

Ganz grundsätzlich sei der Vatikan bereit, in der Krise zu helfen und zu vermitteln. Es gebe aber in der Diplomatie viele „kleine Schritte“ wie zum Beispiel „Dialog“ oder „Nähe“. Von diesen kleinen Schritten sei der letzte die Mediation. Dafür brauche es immer die Bereitschaft beider Seiten, so der Papst.

Maduro hatte in einem Interview gesagt, dem Pontifex einen Brief geschrieben zu haben. „Ich bitte den Papst, sein Bestes zu geben, (und) um seinen Willen, uns auf dem Weg des Dialogs zu helfen.“

(APA/dpa/ag.)

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