Almudena Grandes‘ „Der Feind meines Vaters“

Vieles ist verboten in Fuensanta de Martos. Dennoch finden die Dorfbewohner heimlich Wege, ihr Leben halbwegs so zu gestalten, wie sie es mögen. Es ist die Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, in der die Gefolgsleute General Francos jeden Widerstand in Spanien unterdrücken. Almudena Grandes‘ Roman „Der Feind meines Vaters“ ist in den „drei Jahren des Terrors“ zwischen 1947 und 1949 angesiedelt.

Der kleine Nino, Sohn eines Polizisten in Francos Guardia Civil, wächst in Fuensanta de Martos auf. Ein Sumpf, in dem man „Verrat, Denunziation, Angst und Gewehre mehr kultivierte als die Olivenbäume“. Behörden stützen sich auf Verräter, die sich für ihren Verrat bezahlen lassen. Polizisten erschießen hinterrücks Flüchtige, prügeln, vergewaltigen. Die Widerstandshelden hingegen leben wie Tiere: entweder im Gefängnis gefoltert oder in den Bergen versteckt.

In eine Nussschale packt die Autorin (Jahrgang 1960) das Nachkriegs-Spanien: Ninos Dorf ist die kleine Bühne für die großen Zusammenhänge. „Der Feind meines Vaters“ ist der zweite Band ihrer auf sechs Teile angelegten Geschichte über die Herrschaft Francos. Der erste Roman „Inés und das Glück“ handelt vom Versuch einer antifranquistischen Invasion im Jahre 1944. Für ihn ist Grandes mit mehreren spanischen Literaturpreisen ausgezeichnet worden.

Der Erzähler ihres neuen Romans ist der kleine Nino. Sein Leben spielt sich zwischen der Kaserne, in der er mit seiner Familie lebt, und den Ausläufern der Berge ab. Zwischen der Welt des Regimes und der Halbwelt der Guerilla. Seine ganze Bewunderung gilt einem geheimnisvollen, gesichtslosen Partisanen, über den im Dorf viel gemunkelt, aber nichts richtig bekannt ist. Dessen Lebenszeichen sind Geldscheine, die er mit „So zahlt Cencerro“ unterschreibt. Für Nino ist er der mächtigste, schlaueste und mutigste aller Männer, weil weder Guardia Civil noch das Militär mit ihm fertig werden.

In „Der Feind meines Vaters“ vermischt Grandes Historisches mit Fiktionalem. Ein alter Freund der Autorin habe ihr von seinem Leben als Sohn eines Polizisten erzählt. Und er berichtete auch vom überheblichen Cencerro, seinem Mut, seinen signierten Geldscheinen und seinem heldenhaften Tod. Grandes begann das Leben des Widerstandskämpfers zu erforschen und aufzuschreiben.

Zudem gibt es fiktive Charaktere. Dazu gehören Ninos erwachsener Kumpel Pepe, der Portugiese, und Dona Elena, Ninos Nachhilfelehrerin. Beide wecken das Interesse des Kleinen an den Abenteuerromanen von Jules Verne und Robert Louis Stevenson. Wer liest, wird neugierig, und wer neugierig ist, wird schlau. Das merkt auch Nino.

Mit dem Buben hat Grandes eine wunderbare Figur geschaffen. Auch wenn die Sprache des Romans nicht der eines rund neun Jahre alten Kindes entspricht, so zeichnet sie doch diesen und die anderen Charaktere besonders fein: eigenbrötlerisch, neugierig, eigenwillig, aber auch zwiegespalten und widerständisch.

Hinreißend: Ninos erste Annäherung an ein Mädchen. „Ich legte mir die Hand auf die Wange, als könnte ich den Kuss so auf meiner Haut lebendig erhalten, und als ich begann, den Hang hinunterzugehen, spürte ich seine Wärme und den Druck dieser Lippen.“ Zuweilen machen Grandes‘ Abschweifungen und ihre weiten Seitenstränge den Roman etwas schwierig. Dadurch aber schafft sie es, ein der Realität entliehenes Sittengemälde der spanischen Gesellschaft unter Francos Regime vollständig darzustellen.

Nino sagt einmal über die Erzählungen seiner Lehrerin Dona Elena: „Zuerst erschienen sie groß, doch in Wirklichkeit waren sie klein, weil sie immer nur ein Teil einer noch größeren Geschichte waren, einer unendlichen Geschichte.“ Und so ist auch bei Grandes: In „Der Feind meines Vaters“ steckt das Große im Kleinen.

INFO: Almudena Grandes: „Der Feind meines Vaters“, Hanser Verlag, 399 Seiten, 20,50 Euro, ISBN: 978-3-446-24125-1.

(APA/dpa)

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