US-Schiefergas-Revolution könnte Europa zusetzen

Als der deutsche Bundesnachrichtendienst die Regierung in Berlin vor wenigen Wochen darauf hinwies, dass sich ein geopolitischer Paradigmenwechsel ankündigt, waren die Reaktionen noch verhalten. Wieso soll ausgerechnet die Förderung von Schiefergas in den USA die Welt erschüttern? Doch jetzt erfasst das Schiefergas-Fieber auch andere Weltregionen.

Die BND-Autoren warnten mit Verweis auf die Schätzungen der Internationalen Energieagentur, dass es in den USA einen wahren Öl- und Gasrausch gebe und das Land in wenigen Jahren der weltgrößte Produzent werden könne. Durch die plötzliche Unabhängigkeit der Supermacht bei der Energieversorgung verändere sich das Machtgefüge in der Welt und der Umgang mit der Golfregion, heißt es in der vertraulichen Studie.

Mittlerweile häufen sich die Meldungen, was die Entwicklung bedeutet. Gerade erst hat die Ukraine mit dem Ölkonzern Shell einen über 50 Jahre laufenden Milliardenvertrag unterzeichnet. In Deutschland konnten Gaskonzerne wie E.ON oder die BASF-Tochter Wintershall bei russischen Lieferanten Preissenkungen durchsetzen. Und die Debatte nimmt eine solche Fahrt auf, dass es etwa auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende von allen Seiten Warnungen hagelte, Europa könnte weltweit ins Hintertreffen geraten.

Aufgeschreckt durch die Debatte über einen Rückzug der USA war der Sonderbeauftragte der Regierung, Carlos Pasqual, angereist, um solche Sorgen zu zerstreuen. „Das verändert unser Engagement für die globale Sicherheit, den Frieden und die Stabilität im Nahen Osten und für die transatlantischen Beziehungen in keiner Weise“, versicherte Pasqual. Denn Washington sei auch an einer Preisstabilität für Öl und Gas auf dem Weltmarkt interessiert.

Aber die meisten Experten glauben, dass der Welt sehr wohl eine Revolution bevorsteht, die sowohl die Debatten über die Endlichkeit der Ressourcen und die Energiepolitik als auch die industrielle Stärke ganzer Weltregionen beeinflussen wird.

Verlierer Russland

Als großer Verlierer gilt dabei in der westlichen Welt Russland, auch wenn es weiter Hauptlieferant Europas bleiben wird. Weil die USA als Abnehmer von Gas ausfallen und ab 2015 sogar als Lieferant auf den Weltmarkt drängen, wird wohl auch der Preis für andere Länder sinken. „Jeder weiß doch, dass die russische Regierung einen relativ hohen Öl- und Gaspreis braucht, um ihre Ausgaben zu decken“, meint etwa Ruprecht Polenz, Vorsitzender der Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Der russische Energieminister Alexander Nowak erntete deshalb in München nur Kopfschütteln, als er mit Verweis auf den steigenden Gasverbrauch in Europa und Asien sogar auf steigende Preise setzte. Denn das weltweite Angebot dürfte viel schneller steigen als der Bedarf.

Beim künftigen Hauptkunden China werden riesige Vorkommen vermutet. Aber auch Polen und die Ukraine sind dabei, eigene Schiefergas-Bestände zu erkunden. Beide könnten damit nicht nur unabhängig von russischem Gas werden. Gerade die arme Ukraine hätte mit dem Shell-Vertrag sogar die Chance auf eine neue Einnahmequelle.

OMV gab Schiefergas-Pläne auf

In Westeuropa wird die Debatte aber völlig anders geführt. Zwar gibt es auch in Frankreich und Deutschland erhebliche Vorkommen an Schiefergas, auch in Österreich wurde danach gebohrt. Die OMV gab ihre Schiefergas-Pläne im Wienviertel in Niederösterreich allerdings auf. Das Atomland Frankreich hat ein Moratorium für die umstrittene Fracking-Technologie ausgesprochen, mit dem Schiefergas gefördert wird. In Deutschland tobt bereits eine heftige Debatte zwischen Umweltschützern und den Befürwortern.

Die Alarmstimmung breitet sich vor allem deshalb aus, weil die Entwicklung viel schneller ist als selbst Experten erwarteten. „Wir führen schon jetzt eigentlich kein Gas mehr ein“, sagt der US-Sonderbeauftragte Pasqual. Die US-Regierung habe bereits eine Genehmigung für den Gasexport erteilt. 16 weitere Lizenzanträge würden derzeit geprüft.

Nur verschämt diskutiert werden die Auswirkungen auf den Nahen Osten. Dabei weist die BND-Studie darauf hin, dass die USA von der Golfregion zumindest für Energielieferungen unabhängiger werden und deshalb möglicherweise auch ihr dortiges militärisches Engagement verringern könnten. Die US-Regierung versucht, diese Ängste auch in der Region zu dämpfen, in der die Golfstaaten und Israel vom Schutz der USA etwa vor dem Iran abhängen.

Aber Pasqual räumt ein: „75 Prozent des Öls, das derzeit durch die Straße von Hormus muss, geht nach Asien.“ Auch das Gas aus Katar, das eigentlich für die USA bestimmt war, wird heute nach Asien umgeleitet. Mit anderen Worten: Jede Eskalation etwa im iranischen Atomkonflikt, der diese Transportroute gefährden könnte, hätte viel größere Auswirkungen auf Staaten wie China als für die USA.

(APA/ag)

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