Erinnerungen von Barbara Coudenhove-Kalergi

Sie wäre eine gute Bundespräsidentin gewesen. Dieses Gefühl beschleicht einen bei der Lektüre der Erinnerungen von Barbara Coudenhove-Kalergi nicht erst, als sie jene Tage schildert, die den Autor Vaclav Havel und den altösterreichischen Adeligen Karl Schwarzenberg im Zuge der sanften Revolution in höchste Staatsämter der neu gegründeten Tschechischen Republik beförderten.

Die in Prag geborene Grande Dame des österreichischen Journalismus, die vor wenigen Tagen 81 Jahre alt geworden ist, hat es 1997 abgelehnt, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren. Von dieser Episode berichtet sie in „Zuhause ist überall“ nicht. Es geht ihr nicht um sich selbst, sondern um das, was sie gesehen und miterlebt hat. Ab sofort ist der lesenswerte Erinnerungsband im Handel, am 13. Februar wird er im Wien Museum präsentiert.

Coudenhove-Kalergi entstammt einer alten Aristokratenfamilie, deren Wurzeln über halb Europa verzweigt sind und Jahrhunderte zurückreichen. Schon allein die unmittelbaren Verwandten, mit denen man in den ersten Kapiteln des Buches bekannt gemacht wird, auseinanderzuhalten, ist für den Leser kein leichtes Unterfangen. Ausgerechnet ihre in Japan geborene Großmutter, die daheim gleichsam wie eine japanische Sisi kultisch verehrt wird, habe sie leider nie persönlich kennengelernt, bedauert Coudenhove-Kalergi.

Wirklich persönlich wird das Buch erst, als sie ihr Aufwachsen in der deutschsprachigen Bevölkerung Prags schildert, das Leben innerhalb einer Minderheit, mit tschechischen Hausangestellten, aber ohne viel Kontakt zu anderen Tschechen. Nach dem Einmarsch Hitlers folgen die ersten größeren Loyalitätskonflikte, dem BdM-Mädel wird eingetrichtert, sich in „Feindesland“ zu befinden, obwohl es doch hier geboren ist. Die Vertreibung aus dem Paradies der Kindheit erfolgt kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs ansatzlos und brutal: Als das Kommando „Alle mitkommen!“ die Familie in ihrem Haus ereilt, nimmt nur die 13-jährige Barbara einen Rucksack mit Wolldecke und Taschenmesser mit. „Später erweist sich, dass dies die einzigen Habseligkeiten sind, die wir gerettet haben.“

Die Familie entkommt jedoch den Ausschreitungen und Todesmärschen, bei denen Tausende Tschechen-Deutsche umkommen, und kann sich im Gefolge eines letzten aus Prag abziehenden SS-Verbandes zu den Amerikanern und später weiter nach Österreich durchschlagen, wo die Eltern eine neue Existenz aufbauen. Barbara Coudenhove-Kalergi erzählt dies ohne Verbitterung. Ihr bleiben von jener Zeit weniger Entwurzelung und Entbehrung als die innige Verbundenheit mit ihren Eltern in Erinnerung. Ein halbes Leben später kehrt sie nach Jahren als Osteuropakorrespondentin des ORF erneut nach Österreich zurück und nimmt einen von den fremdenfeindlichen Parolen der FPÖ geschürten Stimmungswandel in der Bevölkerung wahr. Da erinnert sie sich noch einmal an ihre eigene Flüchtlingsvergangenheit: „Was wäre aus uns Kindern geworden, denke ich, wenn man uns so behandelt hätte, wie wir jetzt die Neuankömmlinge behandeln?“

Coudenhove-Kalergi berichtet auch über entscheidende Etappen ihrer journalistischen Karriere, über Reisen und Reportagen in den europäischen Osten, über die Streikbewegung in Polen, die Revolution in Prag (das wichtigste Erlebnis in ihrem Journalistenleben) und den Fall der Mauer („die größte berufliche Niederlage meines Lebens“, weil die Kassette mit der Reportage dieser bewegenden Stunden vor dem Überspielen verloren geht).

Nur wenig Privates findet Eingang in das Buch: Die Ehe mit der „großen Liebe meines Lebens“, dem kommunistischen Widerstandskämpfer Franz Marek, oder ihre Aufenthalte als „rosarotes Kerzenweiberl“ in einem Frauenkloster. Sie ist politisch, aber nicht fanatisch, ruhig, aber hartnäckig. Und sie engagiert sich unermüdlich. In der Pension arbeitet sie in der Flüchtlingsbetreuung und unterrichtet Deutsch als Zweitsprache. Nur eines trifft sie offenbar hart. Ihre Versuche, in Prag abseits ihrer beruflichen Aufenthalte auch privat wieder Fuß zu fassen, scheitern: „Es gibt kein Zurückkommen. Die Vertreibung war endgültig.“

INFO: Barbara Coudenhove-Kalergi: „Zuhause ist überall. Erinnerungen“, Zsolnay Verlag 2013, 336 Seiten, 16,99 Euro, Buchpräsentation: 13.2., 18.30 Uhr, Wien Museum Karlsplatz.

(APA)

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