David Grossman über den Tod seines Sohnes

Der junge Israeli Uri Grossman, Sohn des Schriftstellers David Grossman, ist 2006 im Libanon „gefallen“, wie man den Kriegstod von Soldaten mit einem seltsamen Eigenbegriff umschreibt. Der Vater gibt ihm in seinem neuen Buch eine andere Bedeutung, wenn er den toten Sohn anspricht: „Aus der Zeit gefallen bist du, aus der Zeit, in der ich bin und an dir vorübergeh.“

Auch dem Trauernden widerfährt auf andere Art das „Aus der Zeit fallen“, wie der Autor dieses außergewöhnliche Buch betitelt hat: „Mit meinen Zeitfühlern spür ich dich nicht.“ Wie alles, aber auch alles für verzweifelt um Nähe zu ihrem toten Kind ringenden Eltern aus den Fugen gerät, breitet der 58- jährige Grossman in diesem 128 Seiten schmalen Band als Mischung aus Klagegesang fast im Stil der Antike, mit kurzen Dialogen über die Suche nach Auswegen und poetischen Bildern für bodenlose Trauer aus. Komplett ausgeblendet bleibt der konkrete Hintergrund für den Tod des Grossman-Sohnes in einem Krieg, den der Vater als Friedensaktivist vorher und nachher öffentlich gegeißelt hat.

In „Aus der Zeit fallen“ geht es, für Leser in mitunter sperriger Form, um den Verlust des eigenen Kindes schlechthin: Er habe dieses „Land der Verdammnis“ wenigstens möglichst präzise beschreiben und „eine Art Topografie von ihm anlegen wollen“, zitiert die Übersetzerin Anne Birkenhauer den als Romancier international viel gelesenen Autor in ihrem Nachwort. Hauptfigur ist ein Vater, der sich nach fünf Jahren aufmacht, seinen toten Sohn an dem unbekannten Ort zu finden, wo er nun ist: „Dort“. Doch den gebe es nun mal nicht, sagt die Mutter.

Unterwegs stoßen andere Eltern toter Kinder dazu, ein greiser Lehrer ist darunter und eine stotternde Hebamme. Sie bewegen sich in einem völlig zeitlosen und geografisch nicht zu ortenden Raum. Ihre immer kurzen, rhythmisch, und oft lyrisch formulierten Dialoge sind verbunden durch zwei prosahafte Erzählerstimmen.

„Die Wucht der Worte lässt uns innehalten“, sagt der „Chronist der Stadt“, als sich für eine Mutter die Möglichkeit andeutet, dass das „Dort“ der Toten als das „Hier“ der überlebenden Eltern tatsächlich erreichbar sein könnte. In Grossmans Buch trifft die Wucht der Worte den Leser aber doch stärker in der finsteren, von Darstellung höchster Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit geprägten, erschütternden ersten Hälfte des Buches als in der versöhnlichen und deutlich flacheren zweiten.

Wer würde nicht an die eigenen, noch lebenden Kinder denken bei der Klage des Vaters an den toten Sohn: “ „Ich“ sagt keiner mehr mit deiner Stimme.“ Wer könnte sich, auch mit Blick auf sich selbst, der entsetzlichen Aufforderung an einen jungen Menschen entziehen, der früh sterben wird: „Verweile nicht, mein Sohn, kostbar ist deine Zeit und bemessen.“

David Grossman hat 2010 für seinen Einsatz für Frieden zwischen Israelis und Palästinensern den Friedenspreis des deutschen Buchhandels bekommen.

INFO: David Grossman: „Aus der Zeit fallen“, Hanser Verlag 2013, 128 Seiten, 17,40 Euro, ISBN 978-3-446-24126-8.

(APA/dpa)

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