Roman über Kurt Gödels Leben

Dass sich das Leben des österreichischen Mathematikers und Logikers Kurt Gödel (1906-1978) als literarischer Stoff eignet, hat Bestsellerautor Daniel Kehlmann in seinem Stück „Geister in Princeton“ bewiesen. Die französische Grafikdesignerin Yannick Grannec hat sich in ihrem Romanerstling „Die Göttin der kleinen Siege“ diesem aufregenden Leben aus der Perspektive von Gödels Frau Adele genähert.

„Die Göttin der kleinen Siege“ ist eine tragische Liebesgeschichte, in der die Höhenflüge des Geistes und die Niederungen des Alltags eindrucksvoll kontrastieren. Grannec erzählt auf zwei Ebenen. Im Princeton des Jahres 1980 bemüht sich die junge Bibliothekarin Anna Roth im Auftrag der Universität darum, der in einem Heim lebenden und gesundheitlich bereits sehr angegriffenen Witwe des Wissenschafters den Nachlass ihres zwei Jahre zuvor verstorbenen Mannes herauszulocken. In den Bergen von Papier sollen in nahezu unleserlicher Gabelsberger-Kurzschrift faszinierende Gedankengänge festgehalten sein, man munkelt sogar von logischen „Gottesbeweisen“. Das Duell und die allmähliche Annäherung zwischen Adele und Anna – der alten, von den Größen des Wissenschaftsbetriebs immer verachteten Dame, die sich nicht erst im Alter einer sehr direkten, ungeschminkten Ausdrucksweise bedient, und der hübschen jungen, in Adeles Augen aber prüden und lebensunerfahrenen Frau – gibt nicht nur die Möglichkeit zum Auftauchen aus der Vergangenheit und den hohen Sphären der Wissenschaft, sondern auch Anlass zur Rückerinnerung: The World according to Adele.

Die um sieben Jahre ältere Bar-Tänzerin, die dem schüchternen und weltfremden Mathematik-Studenten im Wien der späten 1920er-Jahre über den Weg läuft, ist eine wunderbare Hauptfigur. Die Bemühungen der Autorin sind unverkennbar, der offiziellen Geschichtsschreibung über die von Gödels Familie wohl ebenso wie vom Establishment der damaligen Genie-Welthauptstadt Princeton äußerst kritisch betrachtete Verbindung zweier höchst ungleicher Menschen, die sich dennoch über alle Krisen hinweg als haltbar bis in den Tod erwies, eine zweite Sichtweise hinzuzufügen. Dennoch versucht Grannec, der Einzigartigkeit Kurt Gödels – und damit wohl auch der einzigartigen Schwierigkeit seines Charakters – gerecht zu werden, ohne ihn zu verraten.

INFO: Yannick Grannec: „Die Göttin der kleinen Siege“, Aus dem Französischen von Gaby Wurster, Verlag Lessingstraße 6, 480 Seiten, ISBN: 978-3-85300-003-8, 21,90 Euro.

(APA)

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