Literaturfestival im indischen Jaipur

Der Aufschrei über die Gruppenvergewaltigung in Indien hallt weiter nach. Beim Literaturfestival in Jaipur stehen Frauen und ihre Erfahrungen im Mittelpunkt – als Leihmutter, Nonne oder Unantastbare außerhalb der Kasten-Gesellschaft.

„Immer wenn ich über Probleme von Frauen berichtet habe, dachten alle: Das ist so schrecklich, so traurig – und schalteten dann um“, erzählt die Inderin Kishwar Desai. Die einstige TV-Journalistin schreibt deswegen nun lieber Kriminalromane: die ersten beiden über die Abtreibung weiblicher Föten und Leihmutterschaften in Indien, den nächsten über eine Vergewaltigung. „In einem Roman läuft die Verbindung über das Herz, statt über das Hirn“, meint sie. So könne sie Menschen direkter erreichen.

Auf dem fünftägigen Literaturfestival im indischen Jaipur erklingen viele starke Frauenstimmen wie die von Desai in Gedichten, Liedern, Geschichten, Diskussionen. Und das nicht nur auf dem Podium, sondern auch aus dem oft jungen Publikum, das – aufgeschreckt durch die tödliche Vergewaltigung einer 23-Jährigen in einem fahrenden Bus – lebhaft über weibliche Rollen in der Gesellschaft nachdenkt.

Zehntausende finden bei der sechsten Auflage des nach Veranstalterangaben größten Literaturfestivals im Asien-Pazifik-Raum den Weg in die Höfe und Hallen des Diggi Palace. Als ein Mädchen aufsteht und die Diskutierenden nach mehr weiblichen Vorbildern fragt, wird sie sofort von Bollywood-Star Shabana Azmi unterbrochen. Nötig seien nicht mehr Frauen an zentralen Positionen, sondern andere Männer. „Die Dinge werden sich ändern, wenn Autoren, Filmemacher und Regisseure ihre weibliche Seite entdecken“, sagt sie.

In den vergangenen Wochen war der indische Film scharf kritisiert worden, weil er oft einen Helden zeigt, der sich unsterblich in eine Frau verliebt, die ihn aber abweist. Dann stellt er ihr so lange nach und wendet zum Teil sogar Gewalt an, bis sie schließlich seinem Drängen nachgibt. „Wir bilden die Gesellschaft nicht nur ab, wir schaffen sie auch“, erinnert deswegen der Drehbuchautor und Lyriker Prasoon Joshi. Kleidung, Dialoge, Verhaltensmuster und Lieder würden nachgeahmt.

Und gerade in den Tanzszenen der Filme seien Frauen nur Objekte, stimmt Schauspielerin Azmi mit ein. Der Körper werde fragmentiert und nur noch etwa eine schwingende Hüfte gezeigt. Diese voyeuristisch Kameraführung, die dem männlichen Blick weibliche Körperteile vorführt, müsse aufhören, fordert sie. Dass die Frau dabei als Lockvogel gezeigt wird, regt auch Schauspielerin Sharmila Tagore auf. „Die sexy Bilder existieren sogar im Kunstkino“, schimpft sie.

Die indienstämmige Philosophin und Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak beschwert sich, oft zuerst auf ihr Aussehen, statt auf ihre Schriften angesprochen zu werden. „Das macht mich intellektuell unsicher“, sagt sie. Und die Schriftstellerin Mahasweta Devi, die nach eigener Aussage ihr ganzes Leben über die „Kultur der Unterdrückten“ schrieb, meint, es sei das erste Grundrecht eines jeden Menschen, träumen zu dürfen.

Einer der Schwerpunkte des Festivals ist „Buddha in der Literatur“ – auch hier verschaffen sich Frauen Gehör. Die nepalesische Nonne Ani Choying Drolma erzählt, dass Frauen nie die Feierlichkeiten in ihrem Kloster leiteten – bis sie diese Regel infrage stellte. „Wenn man nach vorne tritt, an sich glaubt und etwas einfordert, dann gibt es immer einen Weg“, sagt sie. Der Dalai Lama, der einen Vortrag über Buddhas Lehren hält, fordert am Rande des Festivals mehr Schutz für Frauen.

Lakshmi Homström, die vor allem aus dem Tamilischen ins Englische übersetzt, sieht eine immer breiter werdende Autorinnenbasis. Gerade gab sie eine Sammlung heraus mit Gedichten von jungen Frauen aus einfachen Verhältnissen: vom Land, aus einem Fischerdorf und einer kleinen muslimischen Gemeinde. Auch eine Unberührbare außerhalb des Kastensystems kommt darin zu Wort. „Den Weg bereiteten privilegierte Frauen, aber jetzt hören wir auch die Stimmen von weniger privilegierten Frauen“, sagt sie.

Eine dieser Frauen steht in Jaipur auch auf dem Podium. Bhanwari Devi, die einer niedrigen Töpferkaste angehört, wurde ihren Worten nach vor mehr als 20 Jahren von mehreren Männern vergewaltigt. Dieser Fall hatte schon einmal die indische Gesellschaft aufgerüttelt – doch bis heute ist der Fall nicht vor Gericht entschieden. Devi überreichte in Jaipur den DSC Preis für Südasiatische Literatur und appellierte an das Publikum: Vergesst die Menschen auf dem Land nicht.

INFO: Jaipur Literature Festival: http://jaipurliteraturefestival.org

(APA/dpa)

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