Die Wall Street ungeschminkt: „Die Unersättlichen“

Von einem jungen Mann, der auszog, ein ehrbarer Banker zu werden und als Heuschrecke endete: In seinem Buch „Die Unersättlichen“ beschreibt der ehemalige Investmentbanker Greg Smith die dubiosen Praktiken der Finanzbranche und rechnet mit seinem ehemaligen Arbeitgeber Goldman Sachs ab.

Als der Südafrikaner Greg Smith 1997 bei der Investmentbank Goldman Sachs in New York als Praktikant anheuert, ist er ein ehrgeiziger junger Mann und voller Ideale. Er ist stolz, bei einer Bank arbeiten zu dürfen, die zu den größten und angesehensten der Welt zählt. Und er glaubt, dass diese Bank, die jeden Tag Milliarden von Dollars verwaltet, verantwortlich mit dem Vermögen ihrer Kunden umgeht. Fünfzehn Jahre später, nach einer steilen Karriere und den Erschütterungen der Finanzkrise, ist Greg Smith all seiner Illusionen beraubt.

Smith kündigt, nicht ohne die unlauteren Methoden von Goldman Sachs in einem aufsehenerregenden Artikel der „New York Times“ angeprangert zu haben. Goldman Sachs hat sich in seinen Augen von einer ehrbaren Bank zu einer Heuschrecke gewandelt, die für ihren Profit auch bewusst eigene Kunden täuscht. Mit einem solchen Unternehmen möchte er nichts mehr zu tun haben. Vom Gläubigen wird er zum Abtrünnigen. In seinem Buch „Die Unersättlichen“ hat Greg Smith seine Erlebnisse an der Wall Street festgehalten.

Es ist ein Bericht aus dem Allerheiligsten der Finanzwelt, das dem Normalsterblichen üblicherweise verschlossen bleibt. Greg beschreibt ein Universum mit eigenen Regeln und Gesetzen und leider auch eigener Moral. Wer das Treiben an den Finanzmärkten schon immer mit Misstrauen oder gar Abscheu verfolgt hat, für den wird dieses Buch nur Wasser auf die Mühlen sein. Man muss nicht jedes Detail verstehen, um die Kernaussage zu begreifen: In der unregulierten Finanzwelt kann es nur einen Gewinner geben: Die Wall Street. Ihre Zauberformel lautet: asymmetrische Information.

Die Banken haben gegenüber ihren Kunden stets einen wichtigen Informationsvorsprung. Dieser ist umso gravierender, je undurchsichtiger die Finanzprodukte sind, die angeboten werden. Es ist ein Glücksspiel, bei dem es am Ende nur einen Gewinner gibt: die Bank. Wie Greg Smith mit zunehmender Erbitterung feststellen muss, macht auch Goldman Sachs bei diesem Kasino mit. Vom Praktikanten steigt Greg Smith zum Analysten auf, später wird er einer von mehreren tausend Vice Presidents von Goldman Sachs.

In dieser Zeit macht die Weltwirtschaft schwere Krisen durch. Die erste ist das Platzen der New Economy-Blase, dann kommt der Einbruch nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und schließlich die Finanzkrise von 2008. Es ist eben das Jahrzehnt, in dem sich das Verhalten von Goldman Sachs gravierend ändert. Greg Smith ist am Anfang noch stolz darauf, dass sich sein Arbeitgeber nach den Einbußen von 2001 als Treuhänder der Kunden versteht: „Über allem stand die Botschaft: Jetzt zeigt sich, dass wir anders sind. Das macht Goldman Sachs aus. Kümmern wir uns besonders intensiv um unsere Kunden: Helfen wir ihnen, wieder auf die Füße zu kommen – auch wenn wir nicht unmittelbar davon profitieren.“

Zehn Jahre später hört sich das ganz anders an. Aus den Kunden sind „Kontrahenten“, dann sogar „Muppets“ im Sinne von Marionetten geworden. Selbst 24-jährige Youngster bei Goldman Sachs dürfen sich über diese Ahnungslosen lustig machen, die ihre gerade gekauften Produkte nicht verstehen. Besonders gern übers Ohr gehauen werden etwa die in der Provinz agierenden Verwalter von Pensionskassen kleiner Leute wie Polizisten oder Feuerwehrleute, weil sie das Spiel an der Wall Street nicht begreifen. Aber auch ganze Staaten werden schamlos abgezockt: „Wir hatten Griechenland vor Jahren dabei geholfen, mit einem Derivat seine wahre Verschuldung zu verschleiern. Und jetzt, wo sich dies rächte, zeigten wir Hedgefonds, wie sie von dem Chaos in Griechenland profitieren konnten.“

Nach seinem Ausstieg fühlt sich Greg Smith erleichtert. Er hat nicht nur mit einem zweifelhaften Kapitel seines Lebens abgeschlossen, er glaubt auch, mit seinem Enthüllungsbuch etwas angestoßen zu haben. Beim Leser bleibt allerdings ein Gefühl der Wut und Ohnmacht zurück. Die Fehlentwicklungen und Auswüchse an der Wall Street sind schließlich seit langem bekannt, doch getan hat sich leider nur sehr wenig.

INFO: Greg Smith: „Die Unersättlichen. Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab“, Rowohlt Verlag 2012, 368 Seiten, 20,60, ISBN 978-3-498-06056-5.

(APA/dpa)

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