In den Geisterstädten des Kupferbooms in den USA
Geisterstädte in den USA: Da denken viele an den Wilden Westen, an Arizona und Utah. Doch auch anderswo können Reisende nachvollziehen, was geschieht, wenn eine Region boomt und dann wieder an Bedeutung verliert – zum Beispiel auf der Keweenaw-Halbinsel am Lake Superior.
Die Natur regiert wieder
Das Dach des Sprengstofflagers ist weg, die dicken Mauern stehen noch. Von der Schule ein paar Meter entfernt ist gar nichts übriggeblieben. Nur ein Holzschild mitten im Wald erinnert daran, dass hier einmal Kinder unterrichtet wurden. Bis zu 1.300 Menschen lebten früher in Central – damals, als von 1854 bis 1898 hier im äußersten Norden des US-Bundesstaates Michigan eine Kupfermine betrieben wurde. Doch längst hat die Natur das verlassene Terrain zurückerobert und mit Birken und Büschen überzogen. Wo einst die Wohnhäuser mit Garten standen, lässt sich nur noch anhand der Apfelbäume zwischen den Hügeln erkennen. Heute fressen die Rehe das Fallobst.
Die Geisterstadt Central ist ein kleiner Flecken auf der Karte der Keweenaw Peninsula, die sich langgezogen nach Nordosten in den Lake Superior streckt. Doch am Beispiel von Central lässt sich gut das Schicksal der Region ablesen. Im 19. Jahrhundert wurde hier Kupfer gefunden, der Minenboom brachte Wohlstand. Doch seit fast 100 Jahren geht es mit der Gegend bergab. Andere Orte auf der Halbinsel scheinen heute auf der Kippe zu stehen: Entweder sie wirken mit ihren Ziegelbauten und Besucherbergwerken weiter wie große Freilichtmuseen – oder sie ereilt das gleiche Los wie Central.
Vernagelte Türen
Deutlich spürbar ist das in Calumet. Im Jahr 1900 leistete sich der Ort ein Theater mit 1.200 Sitzplätzen, in dem elf Jahre später Theater-Star Sarah Bernhardt aus Paris auftrat. „Damals war Calumet mit 30.000 Einwohnern auf seinem Höhepunkt angekommen“, erzählt Theaterdirektorin Laura Miller. „Heute leben so viele Leute im gesamten County.“
Calumets Straßen wirken zu breit für das bisschen Verkehr, viele Geschäfte im Zentrum sind geschlossen, andere heruntergekommen. Am südlichen Stadtrand passieren Autofahrer auf dem Highway 41 eine Tankstelle, die Türen sind mit Brettern zugenagelt. Unkraut sprießt durch Risse im Beton. Am nördlichen Ortsausgang grüßt ein großes, leerstehendes Motel. Solche Orte gibt es hier etliche.
Auf der Keweenaw-Halbinsel lagerte einst das weltweit größte Vorkommen an purem Kupfer. Mit der Industrialisierung wuchs im 19. Jahrhundert der Bedarf an dem Metall, eine Mine nach der anderen öffnete. Bergleute aus ganz Europa, China und dem Nahen Osten zogen in die waldreiche Gegend fern aller großen Städte – Minneapolis und Chicago sind auch heute mindestens eine Tagesreise mit dem Auto entfernt. Als der Kupferboom seinen Höhepunkt hinter sich hatte, zogen viele Arbeiter und ihre Familien wieder fort, mehr und mehr Geisterstädte entstanden. Die letzte Mine schloss 1968, spätestens seitdem muss die Halbinsel als eine strukturschwache Region gelten.
400 Kilometer Stollen
Wegen des Kupfers machen sich heute noch manche Touristen auf den Weg. Zwei Besucherbergwerke bieten Führungen an. Das größere, die Quincy Mine bei Hancock im Süden der Halbinsel, war bis 1945 in Betrieb. Besucher fahren ein in Schacht zwei, der einst gut drei Kilometer in die Tiefe ragte und nun größtenteils mit Wasser gefüllt ist. „Unter Tage gab es 400 Kilometer Stollen“, sagt Grubenführer Nick Clark. Er erklärt den Urlaubern die Erzabbaugeräte und erzählt, dass allein in Quincy 282 Arbeiter bei Unfällen starben.
„Wie haben denn die Minen ihre Beschäftigten behandelt?“, will einer der Gäste wissen. „Kommt drauf an, welches Buch man liest“, erwidert Clark. „Die Unternehmen mussten hier deutlich mehr tun als Minenbetreiber anderswo, um qualifizierte Arbeiter in die entlegene Region zu locken. Es gab billigen Wohnraum, öffentliche Büchereien und Spenden für die Kirchen. Andererseits flossen die Millionen aus dem Kupferboom vor allem zu den Investoren an die US-Ostküste. Als die Minen schlossen, hinterließen sie nur Ruinen und Umweltschäden.“
Zwei Menschen und zwei Hunde
Die Delaware Mine zwischen Calumet und Copper Harbor war von 1847 bis 1887 in Betrieb. Ein paar Erzloren rosten vor sich hin, zwischen den Mauern des Maschinenhauses strecken sich Birken zum Himmel – noch eine Geisterstadt. „Hier waren mal 1.100 Menschen zu Hause, sogar die Eisenbahn kam hierher. Heute leben hier zwei Menschen und zwei Hunde“, erzählt Museumsbesitzer Tom Poynter. Zu Fuß führt er seine Besucher 30 Meter tief in den Berg. So nahe an die Oberfläche reichte das Kupfer heran, die tieferen Stollen sind auch hier mit Wasser vollgelaufen.
Auf der Keweenaw Peninsula können Touristen ein wenig bekanntes Stück Amerika entdecken: eine Region mit mehr Vergangenheit als Zukunft, aber auch mit wunderbaren Naturerlebnissen. Von einer Anhöhe bei Copper Harbor fällt der Blick weit auf den unendlich wirkenden Lake Superior, auf der Rückfahrt nach Calumet geht es durch den „Tunnel der Bäume“: Ahorne, Eschen, Hemlocktannen und Birken stehen dicht an dicht, im Indian Summer im Herbst fahren viele Menschen die Strecke nur, um die bunten Bäume zu sehen. Im Radio begleitet sie auf der Frequenz 97,7 der Sender WOLV „The Wolf“. Rock-Oldies aus den 60er und 70er Jahren – für eine Zeitreise auf die Keweenaw Peninsula gibt es kaum passendere Musik.
INFO: www.michigan.org, www.keweenaw.info, www.nps.gov/kewe, www.copperharbor.org, www.quincymine.com, www.calumettheatre.com.
(APA/dpa)
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