Reisebranche wirbt um Homosexuelle

Homosexuelle gelten als besonders reisefreudig. Die Branche entdeckt sie verstärkt als Zielgruppe. Doch nicht überall auf der Welt sind sie willkommen.

Jamaika steht für Sonne, Strand, Reggae und ungetrübte Urlaubsfreuden. Doch als Homosexueller sollte man die Karibikinsel besser meiden: Vor einigen Monaten wurde dort ein schwules Pärchen mit Steinen attackiert, ein anderes ins Gefängnis gesteckt – nur weil es am Strand Händchen hielt. Doch von solchen Vorkommnissen lassen sich viele Schwule und Lesben kaum abschrecken, sie reisen ähnlich wie ihre heterosexuellen Mitbürger – schließlich gibt es genügend andere Orte auf der Welt, wo zwei sich in der Öffentlichkeit küssende Männer oder Frauen nichts Besonderes sind.

„Schwule sind sehr reisefreudig“, bestätigt Dirk Baumgartl, Chefredakteur von „Spartacus Traveller“, dem einzigen Schwulen-Reisemagazin in Deutschland. „Mindestens ein, meist aber zwei große Urlaube pro Jahr, dazu mehrere Wochenendtrips“: So beschreibt Baumgartl das Reiseverhalten. Homosexuelle können sich das in der Regel leisten. Sie sind oft sogenannte „Dinks“: Double income, no kids (doppeltes Einkommen, keine Kinder) – sie haben überdurchschnittlich viel Geld und Zeit zum Verreisen.

Deshalb entdeckt auch die Reiseindustrie Schwule und Lesben zunehmend als Zielgruppe. Die Ausstellungsfläche auf der Internationalen Tourismus-Börse (ITB) in Berlin zum Thema Gay Travel wird von Jahr zu Jahr größer. Immer mehr Reiseveranstalter, Hotels und Fluglinien machen unter Schwulen und Lesben gezielt Werbung. „Für die Reiseunternehmen sind sie mittlerweile eine wichtige Zielgruppe“, sagt Sibylle Zeuch vom Deutschen Reiseverband (DRV).

Die Zahlen sprechen für sich: 6 bis 8 Prozent der deutschen Bundesbürger sind laut Schätzungen homosexuell. Die Zahl der Golfer oder Reiturlauber ist im Vergleich dazu verschwindend gering. Doch während fast jedes Reiseunternehmen eigene Golf- oder Reiterurlaubkataloge im Angebot hat, suchen Homosexuelle weitgehend vergebens nach passenden Reiseangeboten.

Tui wagte 2009 mit einem Magalog, einer Mischung aus Katalog und Magazin, einen Versuch, seit Anfang des Jahres hat Dertour als erster deutscher Veranstalter einen eigenen Katalog im Programm. In diesem sind nur Hotels verzeichnet, die entweder ausschließlich auf Schwule und Lesben ausgelegt sind oder diese explizit willkommen heißen. „In normalen Katalogen verlieren sich diese Angebote“, erklärt der Produktverantwortliche Dietmar Malcherek die Gründe, warum sich Dertour für den eigenen Katalog entschieden hat. „Wir hatten nicht die riesigen Erwartungen, insofern sind wir ganz zufrieden“, bilanziert er nach den ersten sechs Monaten. Die erste Auflage des Katalogs ist vergriffen, die zweite im Druck. Im kommenden Jahr will Malcherek das Angebot um 60 bis 80 neue Hotels vergrößern.

Bisher ist kein anderer deutscher Veranstalter nachgezogen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Der wichtigste dürfte sein: Genauso wie man nicht alle Heterosexuellen in Sachen Urlaub über einen Kamm scheren kann, funktioniert das auch bei Homosexuellen nicht. „Die Interessen sind genauso verschieden wie bei Heterosexuellen: Der eine mag Natururlaub, der andere Städte, der andere Strand“, so Baumgartl. „Innerhalb der Schwulen gibt es sehr viele Gruppen, sie lassen sich nicht wie Golfer mit einem einzigen Katalog ansprechen“, sagt Jochen Volland, Besitzer des Schwulenreisebüros Teddy Travel in Köln.

Hinzu kommt, dass sich wohl nicht jeder Schwule im Reisebüro outen möchte, indem er einen Gay-Katalog verlangt – auch wenn Malcherek, diese Erfahrung nicht auf breiter Front gemacht hat: „Witzigerweise läuft der Katalog vor allem in ländlichen Regionen besonders gut“, sagt er. Allerdings würden sich Mitarbeiter und Kunde dort in der Regel auch kennen.

Die meisten Schwulen und Lesben buchen ihre Reisen weiterhin individuell und vor allem anonym – entweder im Internet oder über das Reisebüro in den üblichen Katalogen und geben sich dabei nicht als Schwule zu erkennen. „In der Szene ist bekannt, welche Hotels geeignet sind, welche Fluglinien Schwule willkommen heißen“, erklärt Baumgartl, der neben dem „Spartacus Traveller“ jedes Jahr einen „Gay Guide“ herausgibt, der auf über 1.100 Seiten Schwulenziele in der ganzen Welt auflistet. Auch bei Tui hat man nach den Worten einer Sprecherin festgestellt, dass die Reiseentscheidung vor allem über die Länderkataloge fällt. Der Magalog wurde deshalb 2011 wieder eingestellt.

Doch wohin geht die Reise bei Schwulen und Lesben? Einige typische Ziele sind bekannt: Mykonos, Gran Canaria, Ibiza. Daran hat sich laut Baumgartl in den vergangenen Jahren wenig verändert. „Spanien liegt in der Beliebtheit ganz vorne. Das hat auch mit der Gesetzgebung zu tun, die Schwule und Lesben mit Heteros völlig gleichstellt“, so der Spartacus-Traveller-Chefredakteur. Bei Städtetrips sind Berlin und Wien am beliebtesten.

Auch die klassischen USA-Schwulen-Ziele wie Fort Lauderdale und San Francisco liegen laut Baumgartl weiter im Trend. Jochen Volland ist hier anderer Meinung: „Die USA waren früher das gelobte Land. Um sein Schwulsein ausleben zu können, braucht man heute aber nicht mehr dorthin zu fahren – zumal in vielen Bundesstaaten die Gesetze rigider werden.“

Volland hat als neue Trenddestination bei den Fernreisezielen Kapstadt ausgemacht, für Baumgartl ist es Tel Aviv. Doch was macht ein Reiseziel zu einem schwulen Reiseziel? „Viel hängt mit der Geschichte zusammen“, erklärt Baumgartl. „Es gab schon immer Städte oder Regionen, die das Thema liberaler gehandhabt haben und dann zu Rückzugsorten für Schwule und Lesben wurden.“

Während Volland derzeit vor allem von Jamaika abrät, hat Baumgartl Russland im Visier: „Das geht gar nicht“, sagt der Experte angesichts der Tatsache, dass Homosexualität in dem Land unter Strafe steht und aktiv verfolgt wird. Vor einigen Wochen machte zudem Marokko Schlagzeilen, nachdem ein Kreuzfahrtschiff mit homosexuellen Passagieren nicht in Casablanca anlegen durfte. Das Auswärtige Amt warnte als Antwort auf eine Anfrage der Grünen im vergangenen Jahr Homosexuelle vor Gefahren in 54 Ländern.

Neu im Angebot und voll im Trend liegen Kreuzfahrten – ausschließlich für Schwule und Lesben. Das hat sowohl Dertourmanager Malcherek beobachtet, der anfangs nur eine Kreuzfahrt im Katalog stehen hatte, nun aber vier weitere online anbietet, als auch Teddy-Chef Volland: „Gay-Kreuzfahrten boomen“, lautet seine Einschätzung.

Bei allem Enthusiasmus der Reiseanbieter angesichts der neu entdeckten Zielgruppe, tritt Volland etwas auf die Bremse. Es gebe immer mehr Hotels, die sich schwulenfreundlich geben, in Wahrheit aber nur das Geld wollen: „Wenn es ums Geld geht, sind alle gay friendly.“ Eine Beobachtung, die auch Baumgartl bei einigen Häusern gemacht hat: „Man muss immer genau schauen, was wirklich hinter solchen Labeln steckt.“

(APA/dpa)

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