Venedigs Kreuz mit den Kreuzfahrtschiffen

Das Bild ist spektakulär und wirkt surreal: Ganz langsam schiebt sich ein schwimmendes Hochhaus am Markusplatz und dem Dogenpalast vorbei. Tausende Passagiere hoch oben an Deck genießen das einzigartige Bild. Das Kreuzfahrtschiff biegt dann auf dem Weg zum Anlegehafen der Lagunenstadt Venedig in den Giudecca-Kanal ein.

Seit langem tobt ein Streit zwischen Umweltschützern und Bürgern auf der einen und Vertretern kommerzieller Interessen auf der anderen Seite: Gibt es machbare Alternativen zu dieser Route durch Venedigs Herz oder nicht? Ja, es gibt sie, und „La Serenissima“ könnte sich Lösungen annähern: Vielleicht machen diese Giganten der boomenden Kreuzfahrtindustrie eines Tages einen Bogen und nehmen einen stadtferneren Kurs zum Kai. Das wäre zumindest ein Kompromiss, wollen die Gegner sie doch am liebsten ganz aus der Lagune verbannen.

In den Monaten nach dem folgenschweren Schiffbruch der „Costa Concordia“ vor der italienischen Insel Giglio beflügelt vor allem eine Frage die politische Diskussion um etwa 1.300 Kreuzfahrt-Passagen jährlich: Was, wenn einer der mehr als 60 Meter hohen schwimmenden Paläste nahe dem Markusplatz havariert? Mit tausenden Menschen an Bord? – Abgesehen von bekannten Problemen wie den hohen Schadstoffwerten in der autofreien Lagunenstadt und den Erschütterungen an den Fundamenten der historischen Touristenhochburg.

Im Ringen mit Venedigs Bürgermeister Giorgio Orsoni haben die großen Kreuzfahrtgesellschaften MSC und Costa Crociere ein erstes Zugeständnis gemacht, wie die italienische Tageszeitung „La Repubblica“ berichtete – die Route am Markusplatz sei für sie „nicht essenziell“. MSC-Chef Domenico Pellegrino meinte dazu: „Wir haben kein Problem damit, die Route zu ändern, vorausgesetzt, es gibt eine Alternative.“ Diese ist aber bisher nur eine Studie, deren Umsetzung Jahre dauern dürfte. „Um die Lagune zu retten, braucht es aber ein totales Transitverbot“, meint der venezianische Journalist Mario Pirani. Bürgermeister Orsoni denkt über Übergangslösungen nach, die rasch greifen könnten.

Tausende erboste Bürger der „Serenissima“ schlossen sich bereits den Protesten der Initiative „Nein zu den großen Schiffen“ an. Mit Aktionen macht das „Comitato NO Grandi Navi“ immer wieder Front gegen die „Meeresmonster“, wie Sprecher Silvio Testa sie nennt. So auch Anfang Juni, als das bisher größte Kreuzfahrtschiff in Venedigs Lagune einfuhr: „Die Msc Divina, 333 Meter lang und 139.000 Tonnen schwer, haben wir auf ihrem ganzen Weg durch das San-Marco-Becken mit Spruchbändern und Plakaten begleitet“, berichtet der Journalist. Für solche Riesen der Meere werde die Lagune bald weiter ausgebaggert – mit neuen Auswirkungen auf das ökologische Gleichgewicht der Natur.

Nach dem Desaster der „Costa Concordia“ handelte die Regierung in Rom und untersagte es Schiffen mit einer Tonnage von mehr als 40.000 Tonnen, zu nahe an geschützte Küsten heranzufahren. Das italienische Kreuzfahrtschiff hatte einen Felsen gerammt und war danach gekentert. In Venedig ist der Transit beim Markusplatz und durch den Kanal von Giudecca jedoch erst verboten, „wenn es praktikable alternative Wege gibt“. Die mächtigen Hafenämter können auch Ausnahmegenehmigungen für eine Route näher an der Küste erteilen, so wie im ligurischen Portofino bereits geschehen. Auch die Insel Ischia wünscht sich das.

Und Venedig? Eine neue Route, eine neue Fahrrinne, eine neue Anlegestelle im Meer – Pläne, Ideen und Hypothesen gibt es in der Debatte viele. Außer den Kreuzfahrtschiffen passieren hier jährlich auch noch 600 Griechenland-Fähren. „Jedes Kreuzfahrtschiff verpestet unsere Luft so wie 14.000 Autos“, meint „No Grandi Navi“ und spricht sich so auch gegen eine alternative Fahrroute in der Lagune aus. Die hitzige Debatte um Kreuzfahrtriesen in dieser großartigen Wasserstadt ist in Bewegung, eine Lösung oder ein Kompromiss noch nicht in Sicht.

(APA/dpa)

Kommentare sind geschlossen, aber trackbacks und Pingbacks sind offen.