Was den Kult um Hollandräder ausmacht

Neben modernen Alu-Rädern wirken Hollandräder ziemlich überholt. Ihr Stahlrahmen wiegt schwer, die Ausstattung ist dürftig. Dennoch kommt der Modellklassiker offenbar nie aus der Mode. Aber was bewegt Menschen heutzutage eigentlich noch, ein Hollandrad zu fahren?

Die Landschaft muss nur platt genug sein, dann sieht man sie an jeder Ecke. Die Rede ist von Hollandrädern. Diese stählernen Saurier trotzen jedem Techniktrend: In der Ära der Alu-Räder halten sie sich wacker und werden auch im anbrechenden Karbon-Zeitalter nicht einfach von der Bildfläche verschwinden wie einst das Bonanzarad. Aber wie lässt sich die scheinbar ewig währende Liebe zu den schweren und behäbigen Zweiradklassikern erklären – in einer Welt, in der sich alles immer schneller dreht?

Für Andreas Steinle, Trendforscher und Chef des Zukunftsinstituts in Kelkheim (Hessen), liegt eine der Antworten auf diese Frage im besonderen Lebensgefühl, das Hollandräder vermitteln: „Sie stehen für die Genusskultur des Radfahrens.“ Denn mit einem Hollandrad rast man nicht, damit rollt man. Ganz gemütlich. Bei 20 Kilogramm Gewicht und einer Schaltung mit maximal sieben Gängen bleibt dem Fahrer auch gar nichts anderes übrig. Und genau dieser Gegenpol zur dauergehetzten Gesellschaft macht im Moment für viele den besonderen Reiz von Hollandrädern aus, glaubt Steinle.

„Entschleunigung ist derzeit ein riesiges Thema in vielen Lebensbereichen“, erklärt der Forscher und nennt als Beispiele für die neue Lust an der Langsamkeit „die Yoga-Welle im Sport oder Reisen mit einem Nostalgiezug durch Indien“. Fahrradfahrer, die sich nach Entschleunigung sehnen, können diese laut Steinle auf dem Sattel eines Hollandrads erleben und genießen. „Hollandräder haben ein entspannendes Moment, auch wenn man an mancher Stelle etwas kräftiger in die Pedale treten muss.“

Steinle fährt selbst ein Hollandrad. Sein erstes Exemplar kaufte er Anfang der 90er Jahre – nicht um sein damaliges Studentenleben in Berlin zu entschleunigen, sondern weil er „als sehr nostalgischer Mensch schon immer die alten Dinge geliebt“ hat. Eine Leidenschaft, die Steinle mit vielen anderen Menschen teilt. Und die viele andere wie ihn dazu bewegt, heutzutage ein Hollandrad zu fahren.

Das Schöne an den klassischen Hollandrädern aus der aktuellen Produktpalette von Traditionsherstellern wie Gazelle, Batavus, Sparta oder Union ist, dass es sich dabei im Grunde genommen um fabrikneue Oldtimer handelt und nicht um modische Retro-Kopien. Ausstattungsdetails wie Beleuchtung, Bremsen und Schaltung sind zwar mit der Zeit gereift, doch an der ursprünglichen Form halten die Hersteller seit fast einem Jahrhundert fest.

Typisch für das Damenmodell ist der Doppelrohrrahmen aus Stahl mit geradem Unterrohr und gebogenem Oberrohr – der sogenannte Schwanenhals -, die Ausführungen für den Herren haben einen Diamantrahmen. Klassische Hollandräder verfügen zudem über einen geschlossenen Kettenkasten und Seitenverkleidungen am Hinterrad (Rockschoner), einen feudal gefederten Sattel, einen Gepäckträger mit Spanngummis und einen Lenker, dessen Enden zum Fahrer hingebogen sind.

Viel mehr brauchte ein Hollandrad nie und braucht es auch heute nicht. „Das Hollandrad ist die Quintessenz des Alltagsrads in der Fahrradkultur – einfach und funktional“, erklärt Gunnar Fehlau vom Pressedienst Fahrrad. „Konzept und Design des Hollandrads sind in sich stimmig und schlüssig. Insofern ist es ein nahezu perfektes Fahrrad.“ Ein unkomplizierter Begleiter in einer komplizierten Welt. „Immer mehr Menschen nutzen für Kurzstrecken das Fahrrad und wollen dafür ein stinknormales Modell“, sagt Stephan Schreyer vom Zweirad-Industrie-Verband. Diesem Wunsch wird ein Hollandrad natürlich gerecht wie kaum ein anderes.

„Der anhaltende Trend zu Retrofahrrädern allgemein – ob nun Hollandräder oder französische Rennräder aus den 70er Jahren – ist als Reaktion darauf zu verstehen, dass Fahrräder ihre Einfachheit weitgehend verloren haben“, erläutert Fehlau. Auf der anderen Seite könne er nachvollziehen, dass Hollandrad-Fahrer von einigen technikbegeisterten Radlern als rückständig belächelt würden.

Sicherlich sind Hollandräder altmodisch. Aber sie besitzen Tugenden, die Fans auch morgen noch schätzen werden – allen voran die kerzengerade Sitzhaltung wie auf einem Stuhl: „Auf einem Hollandrad radelt man aufrecht durchs Leben“, sagt Heiko Hass, Inhaber eines Fachgeschäfts in Berlin-Kreuzberg, das seit mehr als 30 Jahren auf Hollandräder spezialisiert ist.

Praktische Details seien der tiefe Durchstieg der Damenmodelle, der das Aufsteigen erleichtert, sowie der Kettenkasten und die Rockschoner: „Die Schuhe bleiben sauber, die Hose klemmt nicht in der Kette ein. Man kann sich auf ein Hollandrad auch im Business-Anzug einfach draufsetzen und muss sich um sein Outfit keine Sorgen machen“, betont Hass. Das hohe Gewicht ist fraglos ein Manko, wenn man bergauf strampeln oder das Rad durchs Treppenhaus schleppen muss, räumt er ein. „Einmal in Schwung gekommen, rollt ein Hollandrad dafür auf ebener Strecke fast wie von selbst.“

Die großen Laufräder bügeln Unebenheiten auf der Straße aus. Und weil der Stahlrahmen viel flexibler ist als ein Aluminiumrahmen, wird man weniger durchgeschüttelt. Die solide Bauweise erlaubt die Montage von Kindersitzen und Körben und verzeiht es, wenn ein Hollandrad mal umkippt. „Vorausgesetzt, es handelt sich um ein hochwertiges Modell und nicht um einen Billignachbau“, betont Fahrradexperte Fehlau.

Für die Modellklassiker der niederländischen Traditionshersteller sind aktuell mindestens 500 Euro fällig. „Stimmt die Qualität“, sagt Hass, „bleibt ein Hollandrad seinem Besitzer dafür bei guter Pflege locker 10 bis 20 Jahre treu.“

(APA/dpa)

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