Nach der gescheiterten Expedition beginnt die Sinnsuche

Stefan Glowacz brach auf, weil er etwas suchte: etwas ganz Neues, eine noch nie gemachte Erfahrung. Die hat er zwar gefunden. Vor allem aber fand er: Fragen. Seine eigentliche Suche beginnt erst jetzt, nach seiner Rückkehr aus Nepal. Als „Sinnsuche“ bezeichnet Glowacz die mentale Reise, auf die er sich begibt. Nicht, weil er das Ziel, die 1.800 Meter hohe Südwand am Gauri Shankar zu besteigen, nicht erreicht hat. Vielmehr beschäftigt ihn die Frage, ob es vielleicht bei dem einen Versuch bleiben wird. Denn auch wenn ihm die Wand keine Ruhe lässt: Es zieht ihn im Moment nicht dorthin zurück. Das ist ungewöhnlich.

Obwohl er oft hart dafür kämpfen muss: Stefan Glowacz ist es gewohnt, seine Ziele zu erreichen. Eine solche Form des Scheiterns, wie er sie in Nepal erlebt hat, kennt er nicht. Gerade einmal 50 Meter sind er und seine Begleiter David Göttler und Klaus Fengler in der extrem steilen Südwand vorangekommen. 1.800 Meter sollten es eigentlich werden. Dann, so war das Ziel, sollten sie auf dem Westgipfel des Gauri Shanka stehen, auf 7.030 Meter Höhe. Doch all das ist in weite Ferne gerückt. Die Expedition ist gescheitert. „Es gibt kein schönes Wort dafür“, gesteht sich Glowacz ein.

Problemloser Anmarsch zum Basislager

Der Anmarsch klappte problemlos. Am 18. April landeten die drei Bergspezialisten in Kathmandu (Nepal). Von dort war es nur ein Tag Busfahrt und weitere vier Tage Fußmarsch bis zum Basislager auf 3.500 Meter Höhe. Während der Akklimatisierungsphase begaben sich Glowacz, Göttler und Fengler immer wieder zum Einstieg auf etwa 5.000 Meter, brachten Kletterausrüstung sowie ein kleines Zelt nach oben. Recht viel weiter sollten sie nicht kommen.

Ab Mittag gab es Schnee und Wind

Die größten Probleme machten den Kletterern aber nicht die Höhenanpassung, sondern das Wetter. Es war jeden Tag gleich: Sonne und blauer Himmel am Vormittag, Schnee und Wind ab Mittag. „Wir konnten die Uhr danach stellen“, erzählt Glowacz. Dann ab Mittag lagen die drei im Biwak in der Nähe des Einstiegs, ein Zweimannzelt für drei Personen. „Es war richtig eng. Wenn sich einer umdrehen wollte, mussten das die anderen auch tun.“ Trotz des vielen untätigen Herumsitzens – es wurde viel Wasser abgekocht, Tee getrunken und entspannt – sei die Stimmung im Team immer gut gewesen. Besonders David Göttler war für Glowacz eine wichtige Stütze. Der 32-Jährige hat bereits einige Achttausender bestiegen, unter anderem mit der österreichischen Alpinistin Gerlinde Kaltenbrunner. „Göttler hat während der Akklimatisierung immer wieder zu Geduld gemahnt.“ Er selbst, gesteht Glowacz, sei eher ungeduldig und spontan. „Ich wollte schnell in die Wand.“ Diese aber war nicht kletterbar. „Keine Chance“, sagt Glowacz.

Große Teile der kompakten Felsmauer lagen unter einer Schneeschicht, der Rest war mit einer dünnen Eisschicht überzogen. Eisklettern war keine Option, Felsklettern erst recht nicht. „Nichts hat gehalten.“ Zudem gestaltete sich die Absicherung als schwierig. Eigentlich hätten die Kletterer schon in der ersten Seillänge Bohrhaken anbringen müssen. „Aber das ist ja Wahnsinn bei 1.800 Meter Wand.“ Nach zwei Wochen des Wartens und keine Wetterbesserung in Sicht, beschlossen die drei abzubrechen. „Es wäre absolut unrealistisch gewesen, zu glauben, dass wir diese Wand noch durchsteigen können.“ Zwar hätten sie sich über technische Hilfsmittel noch ein wenig weiter nach oben arbeiten können. Das aber widerspricht Glowacz‘ Philosophie vom Klettern by fair means.

Das Ziel sind die Felswände, nicht die hohen Berge

Seit 15. Mai ist Glowacz wieder zurück in Deutschland. Er hat viel gelernt. Zum Beispiel, dass sie das Basislager höher aufbauen. Dass sie sich besser an einem Nachbarberg akklimatisieren. Dabei nützen ihm diese Erkenntnisse vielleicht gar nichts. Denn Glowacz weiß nicht, ob er an den Gauri Shankar zurückgehen wird. Genau genommen weiß er nicht, ob er überhaupt wieder Höhenbergsteigen will. „Ich frage mich, ob das meins‘ ist. Mich interessieren steile, hohe Wände, nicht per se hohe Berge.“ Einen 8.000er über den Normalweg zu besteigen, sei „sicher herausfordernd“. Für ihn aber ist es nicht das große Ziel. Er will an die unbestiegenen Felswände dieser Welt. Hirngespinste wären Zeitverschwendung

Schon öfter hat eine Besteigung erst beim zweiten Mal geklappt. Zum Beispiel am Roraima Tepuis in Venezuela. Oder bei Erstbegehungen in Patagonien. In beiden Fällen aber stand für Glowacz fest: Die Projekte wird er vollenden. „Dieses Gefühl habe ich jetzt nicht. Warum, weiß ich nicht.“ Glowacz vermutet, dass es an der Unsicherheit liegt, ob eine Chance besteht, die Südwand zu besteigen. „Oder ist das Utopie?“ Und mit Hirngespinsten will sich der 46-Jährige nicht aufhalten. Die wären „reine Zeitverschwendung“. Buch erscheint im Herbst mit Start der neuen Vortragsreihe

Für 2011 hat Glowacz keine Expedition mehr geplant. Er will zunächst seine „Sinnsuche“ beenden und sich mit der Frage, „hat ein zweiter Versuch an dieser Wand eine Chance“, beschäftigen. Antworten darauf werden die Besucher seiner neuen Vortragsreihe wohl bekommen. Denn diese startet im Herbst 2011. Die Expedition nach Nepal ist ein Bestandteil. Zudem erscheint ebenfalls im Herbst sein Bildband „Expeditionen – Extremklettern am Ende der Welt“. Jedes der sieben Kapitel ist einem seiner Abenteuer gewidmet. Und im Januar 2012 geht es wieder los, dann steht die nächste Expedition nach Südamerika auf dem Programm.

(Bernd Zankl/GILLOUT)

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