Burgenbau wie im Mittelalter in Frankreich
Natürlich gibt es kein Mobilfunknetz. Wir befinden uns ja im Mittelalter. Aber Funkgeräte sind zugelassen, und so lässt sich Bauleiter Florian Renucci auch mitten auf seiner Baustelle des 13. Jahrhunderts erreichen. In einem Wald im französischen Burgund entsteht eine echte Ritterburg; „echt“ vor allem deshalb, weil sie ausschließlich mit mittelalterlichen Werkzeugen und Methoden gebaut wird.
„Es ist experimentelle Archäologie“, sagt Renucci. „Wir wollen herausfinden, wie die Menschen damals solche Burgen bauen konnten“, erklärt der Baumeister. Von der Mittelalter-Welle mit ihren Kostümspektakeln, historischen Märkten und Ritterspielen will sich der gelernte Steinmetz und Kunsthistoriker absetzen. „Wir spielen nichts nach, wir konstruieren unter denselben Bedingungen wie im 13. Jahrhundert“, sagt der dunkelhaarige Mittvierziger. Auf seiner Baustelle südwestlich von Auxerre gibt es weder Strom noch Kräne. Auch Wasserwaagen und Sägen sind nicht erlaubt. Die waren damals noch nicht vorhanden.
Inmitten der großen Lichtung ist bereits das aus groben Steinen gemauerte Wohngebäude zu erkennen, das von zwei Rundtürmen flankiert ist. Der Baustellenlärm beschränkt sich auf das Hämmern der Steinmetze und die Zurufe der Arbeiter. In ihren groben Kitteln mit Ledergürteln erinnern sie an ihre Vorgänger, die vor 800 Jahren auf Baustellen gearbeitet haben. Hier und da gibt es aber neuzeitliche Stilbrüche, die entweder der Bequemlichkeit oder den französischen Sicherheitsbestimmungen geschuldet sind.
Schutzhelme und 35-Stunden-Woche
Renucci trägt eine moderne Trekkinghose mit vielen Taschen und Sicherheitsschuhe mit Stahlkappen. „Natürlich sind wir nicht in allen Details mittelalterlich“, sagt er und grinst. Vor allem nicht bei den Arbeitsverträgen mit ihrer 35-Stunden-Woche und beim Thema Sicherheit. „Risiken gehen wir auf keinen Fall ein“, erklärt er. Deswegen gibt es auch auf dem Baugerüst Auffangnetze. Und die meisten Bauarbeiter tragen Schutzhelme. Manche haben über den Helm noch einen Strohhut gestülpt, um das Bild nicht zu stören.
In der Nähe eines der beiden Wachtürme machen sich zwei Arbeiter gerade daran, einen meterhohen Steinbrocken auseinanderzubrechen. Mit mächtigen Hämmern hauen sie einen Metallkeil in den gelblichen Sandstein, bis dieser mit einem dumpfen Poltern auseinanderbricht. Ein Gespann mit einem kräftigen Kaltblutpferd der Percheron-Rasse steht bereit, um die Brocken ein paar Meter weiter zu den Steinmetzen zu bringen. Dort werden sie je nach Bedarf zurechtgeschlagen. Wenn sie für eine Außenwand gedacht sind, bekommen sie eine glatte Seite.
„Wir haben den Platz wegen des Steinbruchs ausgesucht“, sagt Renucci. Fast alle Baumaterialien kommen aus der Umgebung – die Steine, der Lehm für die Ziegel, das Eichenholz für die Balken. „Es ist eine echte Öko-Baustelle, wir bauen das Schloss fast ausschließlich aus dem, was hier vorhanden ist“, erklärt er. Zugekauft werden lediglich weißer Kalkstein, der die Fenster umrandet, Roheisen sowie gelöschter Kalk für den Mörtel.
Werkzeuge nach alten Vorbildern
Der Kunsthistoriker zieht eine mittelalterliche Darstellung von Steinmetzen aus seiner Mappe und zeigt auf deren Werkzeuge. „Solche Bilder helfen uns“, sagt er. Bei den Arbeitsgeräten können historische Dokumente noch Hinweise geben, bei den Methoden wird es schwieriger. „Das praktische Wissen wurde vor allem mündlich überliefert, und da ist vieles verloren gegangen“, sagt Renucci.
So bleibt den Arbeitern in Guédelon nichts anderes übrig als auszuprobieren, was unter den historischen Bedingungen möglich war. Anfangs haben sie beispielsweise versucht, die Steinbrocken mit Hilfe von Holzpflöcken auseinanderzubrechen, die mit Wasser übergossen werden und aufquellen. Mit dieser Methode haben schon die alten Ägypter Granit zerteilt. Doch für den relativ weichen Sandstein war sie ungeeignet. Schließlich fanden sie heraus, dass sich der Stein am besten brechen lässt, wenn man einen Metallkeil hineinschlägt.
Wer historische Schlösser besucht hat, dem mag aufgefallen sein, dass in dem groben Mauerwerk häufig in regelmäßigen Abständen Löcher sind. Die Baustelle in Guédelon macht auf einen Blick klar, wozu diese dienten: Dort war das Baugerüst befestigt, das nicht wie heute vom Boden hochgebaut wurde, sondern von außen an der Mauer zu kleben schien. Wenn es ausgedient hatte, wurde es von oben aus wieder abgebaut. Und die Löcher blieben übrig.
Meterdicke Wände und ein kaltes Klo
Eine Wendeltreppe führt in den Hauptturm hinauf. Sie geht rechts herum, weil sie so leichter zu verteidigen ist, zumindest wenn der Burgherr Rechtshänder ist. Ein Angreifer, der die Treppe hinaufläuft und in der rechten Hand seine Waffe trägt, hat kaum Platz, um sie zu benutzen – im Gegensatz zu dem, der sie hinunterläuft.
Der düstere Raum mit rundem Grundriss ist nichts für Menschen, die unter Klaustrophobie leiden. Die Wände sind gut drei Meter dick, was sich an den schmalen Schießscharten erkennen lässt. „Für einen Meter Mauer haben wir 80 Kubikmeter Stein verbaut“, sagt Renucci. Besonders stolz sind die Bauleute auf das Kreuzrippengewölbe, das über einer hölzernen Schalung aufgebaut wurde. „So etwas hat wohl noch nie jemand mit mittelalterlichen Methoden nachgebaut“, glaubt Renucci.
Auf dem Weg zum Hauptgebäude geht es an der Toilette vorbei: eine steinerne Sitzbank mit einem Loch über einem Schacht, der bis in eine Sickergrube führt. Das Ganze sieht nicht unbequem aus, dürfte aber im Winter empfindlich kalt sein.
Am Hauptgebäude wurde im vergangenen Sommer eifrig gearbeitet. Das Dach ist bereits zur Hälfte mit selbst gebrannten Ziegeln aus dem Lehmboden der Umgebung gedeckt. „Wir hatten Glück, dass sich der Boden hier dafür eignet“, meint der Baumeister. Im Innenhof steht ein hölzernes Rad, das an ein überdimensionales Hamsterrad erinnert. Es ist ein mittelalterlicher Lastenaufzug, der tatsächlich genau so funktioniert. Vier Jahre hat es gedauert, bis die französischen Behörden seinen Einsatz auf der Baustelle genehmigten.
Nur Könige und Städte hatten Zugbrücken
Von den vier Türmen auf der Eingangsseite sind bislang nur die Fundamente zu sehen. Dafür ist aber die mächtige Holzbrücke schon fertig, für die 56 Eichen gefällt und 700 Nägel geschmiedet wurden. Hochziehen lässt sie sich allerdings nicht. Die aufwendigen Zugbrücken waren im 13. Jahrhundert königlichen Schlössern und größeren Städten vorbehalten.
Gleich hinter der Brücke strömt dem Besucher ein leicht beißendes Aroma in die Nase. Ziegen springen in einem Gehege mit einem hölzernen Zaun herum. Ganz wie im Mittelalter hat sich in der Nähe der Großbaustelle eine Dorfgemeinschaft von Handwerkern gebildet – mit der Ausnahme, dass die Schmiede, Korbflechter und Töpfer nicht mit ihren Familien dort wohnen, sondern sich nach Feierabend ins Auto setzen und nach Hause fahren.
Ein hagerer Arbeiter schwingt sein seltsam geformtes Beil und lässt die Klinge so präzise ins Holz sausen, dass die Späne fliegen. Der mächtige Eichenstamm, der auf Holzböcken gelagert ist, verwandelt sich unter seinen Händen in einen vierkantigen Balken. „Unsere Balken sind nur so gerade, wie der Stamm es ist“, erklärt er. „Anstatt zu sägen, folge ich mit dem Beil den Fasern des Baumstammes“, fügt er hinzu. Das führt dazu, dass die Balken zwar nicht sehr gleichmäßig aussehen, dafür aber noch stabiler sind als gesägtes Holz.
Fast 30 Jahre Bauzeit
Zwölf Jahre baut Renucci mit seiner Mannschaft nun schon an dem Schloss. 2025 soll es fertig sein. Die Idee hatte ursprünglich ein echter Schlossherr, Michel Guyot, der auf seinem nahe gelegenen Château Saint Fargeau historische Ritterspiele veranstaltet.
Guédelon finanziert sich vor allem über die Eintrittsgelder. 2008 haben mehr als 250.000 Menschen die mittelalterliche Baustelle angeschaut, die jedes Jahr von März bis November in Betrieb ist. Unter ihnen sind zahlreiche Schulkinder, die sich auch selber als Steinmetze und beim Töpfern versuchen dürfen. Manche Besucher kommen auch mehrfach, weil sie wissen wollen, wie die Arbeiten vorangehen. Knapp 50 Arbeiter sind derzeit in Guédelon angestellt, zeitweise arbeiten auch Freiwillige mit. „Eines ist allen gemeinsam: Sie mögen keinen Beton“, sagt Renucci und lächelt.
INFO: http://www.guedelon.fr/de/
(APA/dpa)
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