Terry Gilliam findet Hollywood deprimierend

Im vergangenen Jahr starb während der Dreharbeiten zu seinem Film „Das Kabinett des Doktor Parnassus“ Hauptdarsteller Heath Ledger an einem Medikamentenmix mit nur 28 Jahren. Der Film konnte dann doch noch mithilfe von Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell, die die Rolle des verstorbenen Ledger übernahmen, fertiggestellt werden.

Das absurde Fantasy-Abenteuer erzählt in großartigen Bildern von der Londoner Theatergruppe des Doktor Parnassus, der in einem antiken Wohnwagen umherreist, Theatervorstellungen gibt und die Gedanken seiner Zuschauer beeinflussen kann. Durch einen Zauberspiegel ermöglicht er ihnen den Eintritt in eine Welt, in der jeder mit seinen Wünschen und Obsessionen konfrontiert wird. Doch Parnassus hat ein Problem. Er hat eine Wette mit dem Teufel abgeschlossen und der fordert jetzt den Einsatz: Seine einzige Tochter. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur dpa in München und anderen Medien sprach der 1940 in den USA geborene Regisseur Gilliam über die Filmfabrik Hollywood, Versuchungen und Heath Ledger in seinem letzten Film.

Terry, Sie scheinen ein Faible für komplizierte und ungewöhnliche Geschichten zu haben…

Terry Gilliam: „Ich? (lacht). Das Leben ist einfach kompliziert und ich will das Leben so zeigen, wie es ist und Filme machen, die voll von interessanten Ereignissen sind.“

Wie sind Sie auf die Idee zu diesem doch sehr ungewöhnlichen Film gekommen?

Gilliam: „Das Drehbuch entstand aus Selbstmitleid. Das erste Bild, das ich im Kopf hatte, war das dieses altmodischen Wagens, der durch das moderne London fährt. Außerdem handelt der Film in erster Linie vom Geschichtenerzählen und davon, sich gegenseitig zuzuhören. Ich gehe über die Straße und sehe Kinder, die ihre iPods in den Ohren haben – sie hören der Straße nicht zu. Dabei ist das so wichtig. Beim Dinner sitze ich jemandem gegenüber, mit dem ich mich unterhalten sollte und der schreibt jemandem eine SMS. Die Menschen verlieren den direkten Kontakt zueinander, keiner hat Zeit, zuzuhören. Aber wie ich auf konkrete Szenen komme? Keine Ahnung. Die Ideen kommen einfach.

Woher kam das Selbstmitleid?

Gilliam: „Wenn die Filme finanziell nicht erfolgreich sind, wird es schwieriger, Geld für den nächsten Film aufzutreiben. Mein letzter Film „Tideline“ hat kein Geld gemacht – und ich wusste, das heißt, die nächsten Jahre werden schwierig. Also wollte ich einen Film mit kleinerem Budget machen. Dann kam Heath an Bord und ich dachte: 25 Millionen Euro – kein Problem. Die kriegen wir leicht – aber nein!“

Es war also schwierig, das Geld für „Doktor Parnassus“ zusammen zu bekommen?

Gilliam: „Allerdings. Ich bin deprimiert darüber, wie die Filmwelt aussieht. Filme werden bestimmt von diesen wenigen Leuten, die in Hollywood leben und die keine Ahnung von irgendwas haben. Ich habe ihnen gesagt: Verstehen Sie, im Sommer 2008 kommt „The Dark Knight“ raus, der Joker wird das größte auf diesem Planeten sein und Heath Ledger der größte Star auf diesem Planeten. Und niemand in Hollywood hat dieses unglaublich einfache Konzept verstanden. Sie hatten keinen richtigen Grund, um dem Film gegenüber skeptisch zu sein, sie haben sich nur die Zahlen meines letzten Films angesehen und das war es. Hollywood wird von Bankern regiert. Sie denken nicht langfristig, weil sie nicht denken können. Die Studiobosse verstecken sich hinter den Zahlen.“

Sind Sie darum auch nach Europa gekommen? Inzwischen haben Sie ja nur noch die britische Staatsbürgerschaft.

Gilliam: „Europäische Filmemacher machen weniger Geld. Sie können sich keine große Bürokratie leisten wie Hollywood. Hollywood ist im Grunde ein Dorf von Bürokraten. Hier müssen die Leute dagegen wirkliche Unternehmer sein und sie bekommen sehr viel weniger raus als ihre Kollegen in den USA. Darum bevorzuge ich Europa.“

In „Das Kabinett des Doktor Parnassus“ geht es vor allem um Versuchung und Verführbarkeit. Was sind Ihre Versuchungen? Was hätten wir gesehen, wären Sie durch den Zauberspiegel gefallen?

Gilliam: „Ich glaube, das haben Sie gesehen: Schuhe und Johnny Depp (lacht). Nein, im Ernst: Meine Versuchung ist, dass ich erfolgreich und geliebt werden will. Die Verführung ist dann, dass man so sein will, wie man glaubt, dass andere einen haben wollen. Aber langsam bin ich zu alt, um verführbar zu sein. Als ich jung war, war ich gierig und wollte alles – da hatte ich in jeder Minute mit Versuchungen zu kämpfen.“

Der Film dreht sich auch um eine innige Vater-Tochter-Beziehung. Sie selbst haben zwei Töchter und einen Sohn. Gibt es da Parallelen zu Ihnen?

Gilliam: „Als meine Frau und ich das erste Kind bekommen haben, habe ich zum ersten Mal gemerkt, was es heißt, verwundbar zu sein. Man will nicht, dass den Kindern etwas passiert. Kinder verändern das Leben. Vorher war mir alles egal und ich hatte vor nichts Angst. Klar – da gibt es Parallelen zu Parnassus, der Angst um seine Tochter hat.“

Nachdem Heath Ledger gestorben war, wollten Sie zuerst nicht weiter machen. Warum haben Sie sich umentschieden?

Gilliam: „Ich habe zuerst gesagt: Das war’s. Viele Menschen meinten dann aber: Du darfst jetzt nicht aufgeben, wir müssen den Film fertig machen – auch für Heath. Es war so eine furchtbare Zeit. Wir wollten keinen anderen Schauspieler haben, weil es Heaths Rolle gewesen ist. Und dann kamen wir auf die Idee, drei Schauspieler einzusetzen. Johnny war die entscheidende Person. Er sagte: Wofür du mich auch brauchst, ich bin da! Ich habe später herausgefunden, dass die Banken nur deswegen am Ball geblieben sind, weil sie gehört haben, dass Johnny dabei ist. Zwei Tage später und es wäre zu spät gewesen für den Film.“

Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell übernehmen Ledgers Rolle, wenn die Figur „Tony“ in den Zauberspiegel eintritt. Warum haben Sie sich für diese Reihenfolge entschieden?

Gilliam: „Ich wollte unbedingt, dass Johnny den ersten Part übernimmt. Es ist ein großer Sprung von Heath zu Johnny und ich wusste, dass Johnny das Publikum sofort auf seiner Seite hat. Ich glaube, dass es die richtige Entscheidung war. Er übernimmt die Rolle so selbstsicher. An dem Ablauf des Films hat sich dadurch aber nichts geändert. Ich weiß, dass Heath sich auf die Szenen sehr gefreut und sich auch schon viele Gedanken gemacht hat. Er hatte viele komische Ideen im Kopf – es tut mir unglaublich Leid, dass wir nicht mehr erfahren können, was er vorhatte.“

Warum wollten Sie damals Heath Ledger für die Rolle des „Tony“?

Gilliam: „Heath hat mich gebeten, dass er die Rolle übernehmen kann. Nach „Brokeback Mountain“ ist er durch eine sehr schwierige Zeit gegangen. Er mochte die Publicity nicht – er hat sie einfach gehasst. Das Jahr danach war sehr komisch. Ich habe ihn öfter gefragt, ob er mit mir zusammenarbeiten will, dann sagte er ja, dann nein – ich wusste nie, wie er gerade gelaunt war. Dann habe ich ihn in London getroffen und habe ein paar Leuten und ihm die Storyboards gezeigt und plötzlich fragte er: Darf ich Tony spielen – so habe ich ihn gekriegt.“

Unabhängig davon, dass es schrecklich ist, einen Kollegen und Freund zu verlieren – haben Sie sich gefragt: Warum schon wieder ich? Ihr Projekt „Don Quixote“ scheiterte an Nato-Jets, Sturmfluten und der Verletzung des Hauptdarstellers.

Gilliam: „Ich glaube nicht an diesen Gilliam-Fluch, von dem immer alle reden. Es ist gute Presse, aber damit hat es sich dann auch. Eigentlich habe ich viel Glück, ehrlich gesagt. Es ist lange keiner mehr ermordet worden… Andere Filmemacher haben alle das Problem, dass sie nicht genug Publicity haben. Das ist bei mir anders. Auf dem letzten Plakat stand mein Name sogar über dem von Johnny Depp. Trotzdem haben die Probleme bei diesem Film natürlich alles getoppt. Hoffentlich war es das letzte Mal, dass ich solche Probleme hatte.“

Trotz allem wollen Sie sich noch einmal an „Don Quixote“ versuchen. Wie weit sind Sie da?

Gilliam: „Wir schreiben das Skript gerade wieder um – ich dachte, es sei fertig, aber dann hatte ich eine neue Idee. Sieben Jahre habe ich das Drehbuch liegen gelassen und ich dachte immer, es sei das beste, was ich jemals geschrieben habe. Jetzt habe ich festgestellt: Nein, doch nicht. Also arbeiten wir noch einmal dran und die siebenjährige Verspätung führt vielleicht dazu, dass wir einen besseren Film machen.“

(APA)

Kommentare sind geschlossen, aber trackbacks und Pingbacks sind offen.